Rezension

Frühes Deutsch 15/8, 2006Theaterspielen. Vom Unterrichtsprinzip zum Unterrichtsereignis

Birgit Oelschläger

Jahrgang I, Ausgabe 1, 2007, doi:10.33178/scenario.1.1.9
© 2007, The Author(s). This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International License.

Frühes Deutsch ist eine Fachzeitschrift im 15. Jahrgang für die Vor- und Grundschule im Bereich Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, die vom Vorstand des Goethe-Instituts München herausgegeben wird.1 Sie erscheint drei Mal jährlich und widmet sich neben gängigen Rubriken in jeder Ausgabe einem methodisch-didaktischen Schwerpunktthema. Das im Folgenden besprochene Heft 8/2006 stellt das Thema Theaterspielen – Vom Unterrichtsprinzip zum Unterrichtsereignis in den Mittelpunkt. Die AutorInnen dieser Ausgabe sind fast alle Deutschlehrerinnen, die mit ihren Beiträgen die große Vielfalt an Theatermethoden deutlich machen, die bereits im frühen Fremdsprachenunterricht eingesetzt werden können. Das Heft liefert Neulingen auf dem Gebiet vielfältige Anregungen und macht ihnen Mut, ihr Klassenzimmer in eine Bühne zu verwandeln. Es versteht sich bewusst als Ideensammlung für die Unterrichtspraxis und weniger als Plattform zur kritisch-vertiefenden Auseinandersetzung mit Methoden, die dem Fachpublikum schon länger bekannt sind. So überwiegt die Begeisterung über die vielfältigen Möglichkeiten, die Kinder im Unterricht zum Spielen und Sprechen, zur ganzheitlichen und handlungsorientierten Auseinandersetzung mit Literatur zu animieren. Es werden gängige Verfahren szenischen Lernens vorgestellt: Neben einigen Improvisationstechniken und szenischem Sprechen wird der Fokus auf das von Ingo Scheller entwickelte Konzept einer „szenischen Interpretation“ gerichtet, wobei in mehreren Artikeln vor allem der Einsatz von Standbildern hervorgehoben wird.

Problematisch ist es allerdings, wenn die Technik des Standbilderbauens unreflektiert angewendet wird, ohne inhaltliche Ziele zu berücksichtigen. Standbildfolgen (im Heft als Dia-Theater bezeichnet) eignen sich besonders zur Rekonstruktion eines Handlungsverlaufs einer Erzählung, eines Romans oder eines Films. In dem einführenden Artikel Szenisches Lesen von Kirsch (4-14) werden Standbilder aber auf ein Gedicht angewandt, in dem es gar keine Handlungsmomente gibt. Damit illustrieren die eingefrorenen Momente lediglich Sätze wie „Ist er gefährlich? Ist er lieb?“, anstatt durch die Verdichtung von Handlungsmomenten, Haltungen und Emotionen zum tieferen Verständnis des Gedichts beizutragen.

Lediglich die beiden Artikel Den Wolf gab es als Belohnung (Mihaiu, 33-36) und Neue Wege gehen (Herberger/Unterstab, 20-23), die sich beide mit der Inszenierung von Märchen beschäftigen, beschreiben nachvollziehbare kurze und praktische szenische Unterrrichtseinheiten für den Primarunterricht.

Des Weiteren enthält das Heft Auszüge aus dramatisierten Spielfassungen auf der Grundlage von Prosatexten: Cornelia Funkes Roman Potilla, dessen Fassung für Fremd- und ZweitsprachenlernerInnen vereinfacht wurde, Rudolf Herfurtners Roman Der wasserdichte Willibald, das Märchen Die drei Schweinchen und das Bilderbuch Jesus Betz von Fred Bernard und Francois Roca. Die Inszenierung einer Ganzschrift mit Kindern ist ein ambitioniertes Unterfangen und braucht entsprechende Hilfestellung, aber leider enthalten weder die abgedruckten Auszüge aus Spielfassungen noch die Beiträge im Heft neben herkömmlichen Regieanweisungen Angaben zur methodischen Herangehensweise. Viel effektiver und schülerorientierter ist es meines Erachtens, nicht auf vorgefertigte oder von der Lehrerin erstellte Fassungen zurückzugreifen, um diese auswendig lernen und anschließend in Szene setzen zu lassen, sondern diese gemeinsam mit den Kindern durch Improvisationen zu entwickeln. Um Szenen lebendig gestalten zu können, ist es sinnvoller, nicht von einem vorgegebenen Dialog, sondern von einem Geschehen auszugehen und die Handlung an Hand konkreter Situationen und Figuren aufzubauen. Daraus lässt sich dann langsam eine eigene Interpretation und Inszenierung entwickeln. Wenn Szenen durch Improvisationen erarbeitet werden – wie es in der neueren Theaterpädagogik allgemein üblich ist – wird dabei ein ganzheitliches und tieferes Textverständnis gefördert als durch eine Arbeitsweise, die sich vor allem am gesprochenen Wort orientiert.

Überraschenderweise werden in den wenigsten Beiträgen des Heftes die sprachlichen Voraussetzungen für einzelne Texte berücksichtigt und keine näheren Ausführungen zur Zielgruppe für die Spielvorlagen gemacht. Dass der Inszenierung in der Regel eine Phase des Textverständnisses vorangehen müsste, wird meistens nicht erwähnt, so dass der Eindruck entsteht, auch in der Primarschule könnten Lerner schon ein Mittelstufenniveau erreichen oder der Großteil der Beiträge wende sich an Zweitsprachenlerner.

Dieses Heft ist offenbar eine Plattform für den Erfahrungaustausch unter DaF-Lehrerinnen im Primarbereich und gibt Außenstehenden einen guten Einblick in deren Unterrichtswirklichkeit. Durch die Beiträge wird deutlich, dass Theaterarbeit im Fremdsprachenunterricht zwar mittlerweile in allen Schulformen eingesetzt wird, es aber an fachkundigen LehrerInnen immer noch mangelt. Für ein Folgeheft würde man sich deshalb wünschen, dass über Beispiele für die Anregung von Spielprozessen hinaus deutlicher veranschaulicht wird, wie theaterästhetische Mittel eingesetzt werden, um konkrete fremdsprachenunterrichtliche Ziele zu erreichen.2

Bibliographie

Goethe-Institut, München (Hrsg.) (15/8 2006): Frühes Deutsch: Zeitschrift für Deutsch als Fremdsprache und Zweitsprache im Primarbereich. Theaterspielen: Vom Unterrichtsprinzip zum Unterrichtsereignis. Bielefeld: Bertelsmann.

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