Für das 6. Scenario-Forum Symposium haben Ulrike Jaeger (Professorin für Informatik an der Hochschule Heilbronn) und ich einen gemeinsamen Workshop entwickelt. Im Folgenden beziehe ich mich mit dem Einverständnis von Ulrike Jaeger auf den von mir eingebrachten Teil des Workshops und verweise auf den eigenen Beitrag von Ulrike Jaeger: “No Risk No Fun: Project-based learning in a nutshell.“
Inhalt und Anliegen des Workshops
Die Kunst des performativen Lehrens, so wie wir es sehen, besteht darin, dem Lernenden zu ermöglichen, seiner Neugier zu folgen, sein Berufsfeld zu erkunden, sich sein Wissen selbständig und in der Gruppe anzueignen, die Kompetenzen der Mitmenschen zu nutzen und diesen Prozess der Aneignung zu reflektieren und später wiederholen zu können. Die Lehrenden sind anfangs dabei der Konstrukteur*innen, Regisseur*innen und Gestalter*innen dieser Lernprozesse. Im Laufe der Prozesse geben sie die Regie ab an die Studierenden und werden zu Begleiter*innen, Beobachter*innen.
Die Art der Aufgabenstellung ist dabei der Dreh- und Angelpunkt des Gelingens: Die Aufgaben müssen komplex genug sein, um interessant zu bleiben. Lösungswege müssen offen bleiben für die individuellen Ansätze der Studierenden. Diese Lernszenarien sind meist Simulationen künftiger beruflicher Praxis, in denen professionelles Handeln erlernt, erprobt, beobachtet und reflektiert werden kann. Sie sind Inszenierungen mit Rollen und Regeln wie im Theater. Sie werden durchgespielt wie auf Theaterproben, danach ausgewertet und gegebenenfalls mit veränderten Bedingungen wiederholt. Und wie im Theater gehen die Erfahrungen, die die Studierenden machen, über rein kognitive Erkenntnis hinaus. Sie lernen auch auf sozialer, physischer und emotionaler Ebene.
Im Workshop wurden Konstruktionsprinzipien Lernszenarien für verschiedene Fächer anhand eines themenunabhängigen Prozessschemas diskutiert, das Ulrike Jaeger und ich entwickelt haben. Dieses Prozessschema beschreibt den zeitlichen Verlauf eines Lernprozesses mit zunehmender, selbständiger Aktivität der Studierenden und abnehmender Aktivität des Lehrenden. Am Anfang stehen die einführende Rahmensetzung, die Erklärung der Spielregeln, die exemplarische Demonstration der Handlungsmöglichkeiten der Studierenden. Dann startet das Spiel. Innerhalb dessen organisieren sich die Studierenden selbst und geben sich die Studierenden gegenseitig Feedback (Peer Review) Der Lehrende beobachtet und greift nur im Notfall in das Geschehen ein oder wenn die Studierenden ausdrücklich Informationen von ihm verlangen. (Teaching on Demand) Bei den abschließenden Reflexionen berichten die Studierenden über ihren individuellen Lernfortschritt und können in aller Regel auch ihre erbrachten Leistungen bewerten und ihre nächsten notwendigen Lernschritte nennen.
Beispiel eines solchen komplexen Lernszenariums war ein Seminar zum Thema Gesprächs- und Verhandlungsführung. Die Studierenden verschiedener Fachrichtungen können dieses Seminar als Schlüsselqualifikation belegen. Die meisten Studierenden kommen mit der Erwartung Tipps und Tricks für Bewerbungsgespräche zu erhalten. Da aber alle in andere Berufe einsteigen werden und die dazu gehörenden Gesprächskulturen verschieden sind, können keine allgemeinen Regeln gelten. Ziel muss also sein, die bereits vorhandenen sozialen Erfahrungen im jeweiligen Berufsfeld der Studierenden zu aktivieren und so zu kultivieren, dass sie ein selbstbewusstes Bewerbungsgespräch führen können. Das Seminar beginnt mit dem spielerischen Training einiger Gesprächstechniken. Gesprächsanalyseinstrumente werden eingeführt. Beobachtung und Feedback wird trainiert. Jetzt haben die Studierenden das Handwerkszeug für ein größeres Trainingsszenarium. In Schritt 1 gründen die Studierenden in mehreren Gruppen Startup-Firmen und verfassen eine Stellenausschreibung. In Schritt 2 überlegen Sie sich innerhalb dieser Gruppe eine Gesprächsstrategie mit der Sie die richtigen Bewerber finden. In Schritt 3 bewerben sich die Teilnehmenden bei einer anderen Gruppe auf die Stelle. Jeder Bewerber erhält zusätzlich einen Prozessbeobachter. Die Bewerbungsgespräche werden durchgeführt und in den Gruppen aus verschiedenen Perspektiven reflektiert. An diesen Reflexionen ist der Lehrende nicht notwendig beteiligt. Die Studierenden sammeln ihr Feedback selbstständig ein. Im Kolloquium bestimmen dann die Firmen Ihren Wunschkandidaten und begründen ihre Wahl. Der letzte Schritt das Spiel Szenarios betrifft die Gehaltsverhandlungen. Die Lehrende gibt auf Wunsch einen kurzen Input in das Harvard-Verhandlungskonzept und einen Überblick über geldwerte Leistungen, die gegebenenfalls in die Gehaltsverhandlung einbezogen werden können. Selbstständig simulieren die Studierenden exemplarisch eine Verhandlungssituation. Im Feedback beschreiben die Studierenden ihren Erkenntnisgewinn und ihre nächsten nötigen Lernschritte. Durch die komplexe Simulation und den häufigen Perspektivwechsel sehen alle selbstbewusster einer Bewerbungssituation entgegen. Alle betonen den Spaß und die positive Gruppendynamik des Seminars.
Reflexion zum Workshop
In dem 90minütigen Workshop ist es kaum möglich solche komplexen Szenarien am eigenen Leibe auszuprobieren. Es wurde aber deutlich, dass viele der Teilnehmenden bereits solche Lernszenarien in ihrer Lehre durchführen. Als Schwierigkeit dabei stellte sich aber heraus, dass in den verschiedenen Fachdidaktiken auch verschiedene Begriffe für solche Lernszenarien verwenden; sie heißen Labore, Projektseminare, Experimente, Praxissimulationen etc. Zu diskutieren sind auch die Kriterien und Konstruktionsbausteine dieser Lernszenarien. Einigkeit herrschte über die Wirksamkeit solcher didaktischen Einheiten.
In meiner Berufspraxis als Theaterpädagogin gehört die Konstruktion solcher Lernräume zum Alltag. Es ist die Technik, die die Theaterpädagogik aus den Brechtschen Lehrstücken weiterentwickelt hat. Alle Versuche mit diesem Handwerkszeug das Theater zu verlassen und im Fach Wissenschaften vorzudringen, führten zu inspirierenden und erfolgreichen Ergebnissen. Ulrike Jaeger und ich sind überzeugt, dass sich die von uns skizzierte Methode auf viele Fächer übertragen lässt.