Experimentelle Studien zu Theaterarbeit und Persönlichkeitsentwicklung: Die aktuelle Befundlage1

Andreas Wirag

Jahrgang XIII, Ausgabe 2, 2019, doi:10.33178/scenario.13.2.7
© 2019, The Author(s). This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International License.

Zusammenfassung

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über aktuelle Studien, die eine Förderung der Persönlichkeit der Teilnehmer*innen durch Theaterarbeit bzw. Theaterspiel (z.B. ihrer Kreativität, Offenheit, Empathie) untersuchen. Der Überblick geht dabei nur auf Untersuchungen ein, die experimentelle Versuchsdesigns nutzen, um die Förderwirkung des Theaterspiels zu überprüfen. Demnach werden Quasi-Experimente und Experimente zum Einfluss der Theaterarbeit vorgestellt. Die Übersicht zeigt, dass bislang wenige (empirisch) belastbare Befunde zur Förderung der Persönlichkeit durch Theaterspiel existieren. Lediglich für ausgewählte Aspekte, z.B. Kreativität und Adaptive Sozialkompetenz, liegen experimentelle Belege vor. Gleichzeitig bestehen viele diskursive bzw. theoretische Annahmen, die eine mögliche Förderwirkung der Theaterarbeit beschreiben und als Forschungsdesiderate für zukünftige empirische Studien verstanden werden können.

Contents

  1. Einleitung
  2. Aufbau des Beitrags
  3. Wirkung der Theaterarbeit auf die Persönlichkeit – Quasi-Experimente
  4. Wirkung der Theaterarbeit auf die Persönlichkeit – Experimente
  5. Zusammenfassung und Ausblick

1. Einleitung

Ziel dieses Beitrags ist es, einen Überblick über die aktuelle Befundlage zur Wirkung von Theaterarbeit bzw. Theaterspiel auf die Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmer*innen zu geben. Der Überblick geht dabei nur auf experimentelle Studien ein, die den Einfluss von Theaterarbeit auf die Persönlichkeit in verschiedenen Bildungskontexten untersuchen. Der Beitrag richtet sich damit v.a. an pädagogisch arbeitende Theaterpraktiker*innen, z.B. Theaterlehrer*innen (mit und ohne Fremdsprachbezug), die an Theater, Schule oder Hochschule tätig sind, aber auch an Theaterschaffende, z.B. Regisseur*innen oder Schauspieler*innen. Unter „experimentellen Studien“ werden an dieser Stelle Untersuchungen verstanden, in denen Forschende eine Intervention (hier: Theaterarbeit) durchführen bzw. anleiten und im Anschluss die Auswirkung dieser Intervention auf die Teilnehmer*innen überprüfen. Um die Effekte dieser Theater-Intervention zu erfassen, werden quantitative Daten zu ausgewählten Zielvariablen (hier: Persönlichkeitsaspekte) erhoben und i.d.R. statistisch ausgewertet. Auf diese Weise können Unterschiede zwischen Theater-Teilnehmer*innen und Nicht-Teilnehmer*innen identifiziert werden, die belastbar bzw. signifikant sind (d.h. nicht durch den Zufall erklärbar). In diesem Sinne beschreiben auch Loewen und Plonsky (2016: 62) eine „experimentelle Studie“ bzw. „experimental design“ als:

A research method that involves researchers in intentional manipulation of variables. […] In experimental designs, there is generally a dependent variable (or series of dependent variables) that represents what the researcher is examining for change [d.h. Persönlichkeitsaspekte]. Then there are one or more independent variables that the researcher systematically manipulates to determine their effects on the dependent variable [d.h. Theaterarbeit / keine Theaterarbeit]. (ohne Hervorhebung)

Es sei ergänzt, dass die empirische Forschung neben der experimentellen Studie über weitere quantitative Versuchsdesigns verfügt, um den Einfluss von Theaterarbeit auf die Persönlichkeit zu untersuchen, wie z.B. die Fragebogen-Studie ohne Intervention (vgl. z.B. Haack 2018). Darüber hinaus umfasst die empirische Forschung qualitative Versuchsaufbauten, deren Erkenntnisse auf Basis von z.B. Beobachtungsprotokollen, Interviews, o.Ä. gewonnen werden (vgl. z.B. Domkowsky 2008; Jäger 2011; Crutchfield 2018). Diese nicht-experimentellen Designs sind jedoch bekanntlich nicht in der Lage, kausale Zusammenhänge – im Sinne einer Ursache-Wirkungsbeschreibung – zu belegen, wozu ein experimentelles Versuchsdesign benötigt wird.

1.1. Theorie aus Kultureller Bildung, Theaterpädagogik und Fremdsprachendidaktik

Theoretische Beiträge aus den Feldern der Kulturellen Bildung, Theaterpädagogik und drama- bzw. theaterpädagogisch orientierten Fremdsprachendidaktik, die diskursive Überlegungen, Betrachtungen oder Annahmen zur Wirkung von Theaterarbeit auf die Persönlichkeitsentwicklung vorstellen, finden sich in großer Zahl (vgl. z.B. Baldwin & Fleming 2003; Domkowsky 2006; Liebau et al. 2009; Ronke 2009; Klepacki 2010; Domkowsky & Walter 2012; Klepacki & Zirfas 2013; Boehm 2014; Surkamp & Hallet 2015; Athiemoolam 2018).2 Dieser umfangreiche Theoriebestand verweist auf ein breites Spektrum von Persönlichkeitsaspekten – z.T. ganze Listen oder Kataloge –, die durch die Theaterarbeit gefördert werden können. So bemerkt z.B. Domkowsky (2006: 37), dass verschiedene „Kompetenzen durch Theaterspielen beeinflusst, entwickelt oder im besten Falle gestärkt werden können“. Dazu stellt die Autorin eine Liste von 67 [!] Persönlichkeitsmerkmalen vor, die die Theaterarbeit mutmaßlich fördert: z.B. ‚Selbstvertrauen‘, ‚Offenheit‘, ‚Toleranz‘, ‚Empathie‘, ‚Phantasie‘, ‚Kreativität‘, ‚Begeisterungsfähigkeit‘ und andere mehr (vgl. ibid. 37-38).3 In gleicher Weise heben auch Klepacki und Zirfas (2013: 167), im Rahmen einer diskursiven Theaterbetrachtung, eine große Fülle von Persönlichkeitsaspekten hervor, die das Theaterspiel fördern kann:

Betrachtet man das Schultheater im historischen Blickwinkel, so wird es i.d.R. mit einer Fülle von Fähigkeiten und Fertigkeiten in Verbindung gebracht, die man auf den Theaterbühnen erproben, erspielen, erarbeiten und üben kann, um dann für die „Bühnen des Lebens“ umso besser ausgerüstet zu sein: Religiöse Einstellungen, moralische Tugenden, soziale Perspektivenübernahmen, kulturelle Partizipationsfertigkeiten, ästhetische Urteilsfähigkeit und Gestaltungskraft […].

Auch Liebau, Klepacki und Zirfas (2009: 118) stellen, in einer Arbeit mit dem stimmigen Titel Theatrale Bildung, die folgenden Beobachtungen vor. Es gilt, nach Aussage der Autor*innen, die

plausibel wirkende Vermutung, dass man im Theater etwas für das Leben in der Welt lernen kann, nämlich Eloquenz, Menschenkenntnis, Beherrschung des körperlichen und sprachlichen Ausdrucks, Selbstbewusstsein und soziales Verhalten usw., also Kompetenzen, die […] unerlässlich sind […].

Schließlich hebt auch die dramapädagogische Fremdsprachendidaktik, die die Theaterpädagogik als „Bezugsdisziplin“ (Küppers & Walter 2012: 5) versteht, hervor, dass der Einsatz von Theatermethoden im Fremdsprachenunterricht verschiedene Persönlichkeitsbereiche ausbilden kann, die einen erfolgreichen Spracherwerb unterstützen. So formuliert Boehm (2014: 257), die Fremdsprachenlehre „mit dramapädagogischen Aktivitäten fördert Kreativität, Spontaneität und Einfühlungsvermögen der Lernenden, was nötig ist, um sich sich [sic] in der Fremdsprache ähnlich wie in der Muttersprache ausdrücken zu können“.

Die hier skizzierten, kurzen Einblicke in den umfangreichen Theoriediskurs verdeutlichen, dass vielfältige Annahmen zu Wirkungseffekten durch das Theaterspiel existieren. Aus Sicht der empirischen Forschung stellen diese diskursiven Überlegungen eine unerlässliche Theoriearbeit dar, der eine wertvolle ‚Modellierungsfunktion‘ zukommt. So geben Diskursarbeiten wichtige Hinweise auf die potentielle Förderwirkung der Theaterarbeit, die im Rahmen empirischer Studien untersucht werden kann. Bekanntlich rundet sich der Forschungskreislauf schließlich, wenn die auf diese Weise gewonnenen empirischen Befunde wiederum den Raum einer erneuten theoretischen Modellierung bestimmen bzw. begrenzen.

2. Aufbau des Beitrags

Um den Überblick der experimentellen Studien zu strukturieren, unterscheidet der Beitrag zwischen Quasi-Experimenten und Experimenten. Diese Unterscheidung ist zentral, da die Aussagekraft bzw. Interpretation der Ergebnisse einer Untersuchung von ihrem Versuchsaufbau bestimmt wird. An erster Stelle werden daher Studien vorgestellt, die ein quasi-experimentelles Design nutzen, bei dem intakte Gruppen verglichen werden (z.B. ganze Schulklassen). Diese nehmen entweder an Theaterarbeit teil (Experimentalgruppe bzw. EG) oder eben nicht (Kontrollgruppe bzw. KG). Danach werden Studien vorgestellt, die ein experimentelles Design nutzen, bei dem Experimental- und Kontrollgruppe durch eine zufällige Zuweisung der Teilnehmer*innen erzeugt werden (Randomisierung). Jedem Abschnitt ist eine kurze Erklärung des jeweiligen Versuchsdesigns vorangestellt, das die spätere Interpretation der Studienergebnisse leitet. Der Überblick schließt mit einer Zusammenfassung der vorgestellten Befunde und gibt Hinweise für eine zukünftige experimentelle Wirkungsforschung im Bereich Theaterarbeit und Persönlichkeit.

3. Wirkung der Theaterarbeit auf die Persönlichkeit – Quasi-Experimente

Zur Interpretation der Ergebnisse von Quasi-Experimenten

Der erste Abschnitt stellt Studien im quasi-experimentellen Design vor. Diese stellen die größere Gruppe von experimentellen Studien dar, die eine Wirkung der Theaterarbeit auf die Persönlichkeit untersuchen. Wie erwähnt, beruhen Quasi-Experimente auf einem Vergleich natürlicher Gruppen, die bereits vor der Untersuchung bestehen (z.B. ganze Schulklassen, ganze Seminarkurse, o.Ä.). Im Quasi-Experiment wird daher eine intakte Gruppe der Experimentalbedingung zugewiesen (EG), während eine zweite intakte Gruppe der Kontrollbedingung zugeordnet wird (KG). Die EG nimmt an der Intervention bzw. Theaterarbeit teil, während die KG keine solche Theatermaßnahme besucht. Nach der Intervention werden ausgewählte Persönlichkeitsaspekte zwischen EG und KG verglichen (z.B. ‚Kreativität‘, ‚Empathie‘), um auf diese Weise den Einfluss der Theaterarbeit auf die Persönlichkeit zu überprüfen. Weist die EG im Vergleich zur KG höhere Werte für diese Eigenschaften auf, könnte die Theaterarbeit diesen Unterschied erzeugt haben.

Blickt man auf die Aussagekraft des Quasi-Experiments, so wird eine zentrale Schwierigkeit des Versuchsdesigns offensichtlich: Da EG und KG intakte Gruppen darstellen, ist es möglich, dass diese sich schon vor der Studie in Hinblick auf bestimmte Merkmale systematisch unterscheiden. Dies ist plausibel, da der ursprüngliche Anlass der Gruppenfindung oder vorherige gemeinsame Bildungsprozesse die Merkmale beider Gruppen beeinflusst haben können. Folgende Beispiele demonstrieren diese Überlegung: Es ist plausibel, dass ein Seminarkurs, der frühmorgens stattfindet, von Studierenden besucht wird, die über eine hohe Selbstdisziplin verfügen; eine Schulklasse, die eine dritte Fremdsprache wählt (z.B. Italienisch), hat vermutlich eine erhöhte Sprachlernmotivation; ein Theaterkurs, der freiwillig belegt wird, wird vermutlich von Teilnehmer*innen besucht, deren Persönlichkeit ‚gut‘ zum Theater ‚passt‘; usw. Die Folge sind systematische Unterschiede der Gruppen, die auch im Vergleich von EG und KG nach der Theaterarbeit sichtbar sind. Oder, anders gesprochen, der Einfluss der Intervention ist – zumindest teilweise – mit den unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Gruppen konfundiert. Nach Abschluss der Studie kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass ein Unterschied zwischen EG und KG nicht bereits vor der Intervention vorhanden war.

Um für Quasi-Experimente dennoch eine belastbare Aussage zur Wirkung der Intervention treffen zu können, bietet die empirische Bildungsforschung zwei klassische Behelfe an: So kann – an erster Stelle – geprüft werden, ob EG und KG sich vor der Intervention in Hinblick auf die Zielaspekte unterscheiden. Unterscheiden sich die Gruppen nicht vor, aber nach der Intervention, kann, bei einem Vorteil der EG, geschlossen werden, dass die Theaterarbeit diesen Vorsprung erzeugt hat. Als zweiter Behelf, falls ein Unterschied vor der Theaterarbeit besteht (z.B. die EG zeigt mehr ‚Kreativität‘), kann überprüft werden, ob beide Gruppen sich in unterschiedlicher Weise verändert haben (d.h. ob EG und KG eine unterschiedliche Änderungsrate aufweisen). Zeigt die EG eine höhere Änderungsrate bzw. Änderungssteigung, kann geschlossen werden, dass das Theaterspiel einen stärkeren Zuwachs erzeugt hat (vgl., für weitere Darstellungen des Quasi-Experiments, APA 2015: 872-873; Loewen & Plonsky 2016: 155).

Nach dieser Einführung, die der Einordnung der Ergebnisse der Quasi-Experimente dient, folgen die einzelnen Studien zu Theaterarbeit und Persönlichkeit im quasi-experimentellen Design.

3.1. Fleming, Merrell & Tymms (2004): ‚Schulbezogene Haltung‘ und ‚Selbstkonzept‘

In einem Quasi-Experiment, das sich auf Schultheater an Grundschulen in England bezieht, untersuchen Fleming, Merrell und Tymms (2004) die Wirkung von Theaterarbeit auf die ‚Schulbezogene Haltung‘ und das ‚Selbstkonzept‘ von Schüler*innen. Die Intervention, das „Transformation“-Theaterprojekt, ist eine Initiative des National Theatre in London und besteht aus einer Reihe von professionellen Theater-Workshops, die in einer Aufführung münden. Die Intervention läuft über ein Jahr hinweg und findet damit zwischen Year 3 und Year 4 statt (was der 2. und 3. Klasse in Deutschland entspricht). Die EG und KG umfassen jeweils zwei gesamte Schulen, die in Hinblick auf ihre Lage und ihr sozio-demographisches Einzugsgebiet vergleichbar sind. Die ‚Schulbezogene Haltung‘ ist unterteilt in die Skalen ‚Haltung zu Mathematik‘, ‚Haltung zum Lesen‘ und ‚Haltung zur Schule‘ und wird vor und nach der Intervention, zu Year 3 und Year 4, erhoben. Die Variable ‚Selbstkonzept‘ ist geteilt in das ‚Allgemeine Selbstkonzept‘, ‚Selbstkonzept in Bezug auf Freunde‘, u.a. und wird lediglich nach der Intervention, in Year 4, erhoben.

Die Ergebnisse der Studie stellen sich dar wie folgt: Die Studie zeigt einen Abfall der ‚Schulbezogenen Haltung‘ zwischen Year 3 zu Year 4, der alle Untersuchungsschulen betrifft (vgl. ibid. 194). Dieser ist entwicklungsbedingt oder auf eine wachsende Inkongruenz von schulischem Angebot und Schülererwartung zurückzuführen. Eine Tabelle, welche die ‚Schulbezogene Haltung‘ aus Year 3 und Year 4 enthält, verspricht weitere (statistische) Analysen, um mögliche Unterschiede zwischen EG und KG zu identifizieren. Leider stellen die Autor*innen diese Auswertungen nicht vor, so dass der Beitrag keine Aussage zur Wirkung der Theaterarbeit auf die ‚Schulbezogene Haltung‘ trifft (vgl. ibid. 193-194). In Bezug auf das ‚Selbstkonzept‘ zeigt sich für den gesamten Aspekt, und v.a. für die Skala ‚Allgemeines Selbstkonzept‘ (hier sind Items z.B. „In general I like the way I am“, „Overall I have a lot to be proud of“), in Year 4 ein signifikanter Unterschied zwischen EG und KG, der jeweils einen Vorteil für die Theatergruppe aufweist (vgl. ibid. 193-194). Da das ‚Selbstkonzept‘ jedoch lediglich in Year 4 erhoben wird, liegen keine Werte zu Year 3 vor. Aufgrund der Tatsache, dass für Quasi-Experimente nicht bona fide davon ausgegangen werden kann, dass EG und KG die gleichen Ausgangswerte aufweisen, ist es möglich, dass dieser Unterschied bereits vor der Intervention bestand. Eine belastbare Aussage über die Förderwirkung des Theaters auf das ‚Selbstkonzept‘ kann somit nicht getroffen werden. Die Autor*innen schlussfolgern entsprechend für die gesamte Studie in einem zurückhaltenden Ton: „As suggested earlier these results have to be treated with caution but they are encouraging“ (ibid. 195).

3.2. Schnell (2009): ‚Extraversion‘, ‚Selbstbewusstsein‘, ‚Soziales Engagement‘, u.a.

Ein weiteres Quasi-Experiment, das sich der Theaterarbeit an der Schule widmet, legt Schnell (2009) mit Ästhetische Bildung: Eine empirische Untersuchung zu Auswirkungen einer theaterpädagogischen Unterrichtseinheit vor. In seiner Studie untersucht der Autor die Wirkung des Theaterspiels auf Schüler*innen der 7. Klasse an der Hauptschule. Die Theater-Intervention nutzt das sog. SAFARI-Konzept, das verschiedene theatrale Lernprozesse in eine Sequenzfolge bringt („Stoff“, „Auftakt“, „Figur“, „Aktion“, „Reflexion“, „Inszenierung“) und mit einer Aufführung endet (vgl. ibid. 59-68, 109-111). Die EG und KG sind jeweils eine intakte 7. Klasse der Hauptschule in Baden-Württemberg. Während die EG über ein halbes Jahr hinweg regelmäßig nach dem SAFARI-Konzept unterrichtet wird, erhält die KG keine vergleichbare Maßnahme. Schnell (2009) vermutet, dass die EG sich in den Persönlichkeitsbereichen ‚Extraversion‘, ‚Ich-Durchsetzung‘, ‚Soziales Engagement‘ sowie ‚Selbstüberzeugung‘ steigert. Die Bereiche ‚Emotionale Erregbarkeit‘, ‚Fehlende Willenskontrolle‘, ‚Scheu im Sozialkontakt‘, ‚Bedürfnis nach Alleinsein‘, ‚Neigung zu Gehorsam‘ und ‚Erleben allgemeiner Angst‘ sollen dagegen absinken (vgl. ibid. 92). Als Instrument zur Erhebung der Teilnehmerpersönlichkeit nutzt der Autor den „Persönlichkeitsfragebogen für Kinder 9–14“ (PFK 9–14), einen Standardtest der Pädagogischen Psychologie. Der Fragebogen wird zu vier Zeitpunkten im Studienverlauf eingesetzt (t1, t2, t3, t4). Aufgrund der Messungen vor (t1) und nach (t4) der Intervention kann, wie eingangs skizziert, die zentrale Schwierigkeit des Quasi-Experiments behoben werden: In Aspekten, in denen EG und KG sich vor der Intervention nicht (signifikant) unterscheiden, jedoch nach der Theaterarbeit, kann geschlossen werden, dass das Theater diese Wirkung erzeugt hat.

Im Ergebnisteil der Studie stellt Schnell (2009) eine Reihe von Analysen vor, die das jeweilige Ansteigen bzw. Absinken der Werte zwischen den vier Messzeitpunkten belegen – jedoch jeweils innerhalb der EG und KG (vgl. ibid. 129-156). Diese Auswertungen lassen keine Interpretation in Hinblick auf die Frage zu, ob die Theaterarbeit mit einer Förderung der Persönlichkeit verbunden ist. Um für diesen Überblick eine Aussage zu dieser Frage zu gewinnen, wurden die Ergebnisse aus Schnell (2009: 129-156) durch den Autor erneut berechnet. Dazu wurden nur diejenigen Bereiche betrachtet, die vor der Intervention (t1) keine Unterschiede aufweisen – und damit vor der Theaterarbeit vergleichbar waren. Unterscheiden sich diese Aspekte jedoch nach der Intervention (t4), ist es plausibel, dass dieser Vorteil auf das Theaterspiel zurückgeht.4 Für alle Aspekte, die sich zu t1 nicht unterscheiden, ergibt sich zu t4 das folgende Bild:

Es zeigt sich, dass auch eine erneute Auswertung der Studiendaten aus Schnell (2009) keine belastbaren Befunde zur Förderung der betrachteten Persönlichkeitsaspekte durch Theaterarbeit ergibt. Die Annahme, dass die Theaterarbeit einen förderlichen Einfluss auf diese Persönlichkeitsbereiche aufweist, wird durch die Untersuchung nicht gestützt.

3.3. Drama Improves Lisbon Key Competences in Education (2010): ‚Kreativität‘

Ein weiteres Quasi-Experiment, das bei seiner Veröffentlichung im Feld der Kulturellen Bildung und Theaterpädagogik für einige Aufmerksamkeit gesorgt hat, ist die DICE-Studie (2010), ein Akronym für Drama Improves Lisbon Key Competences in Education. In der DICE-Studie wurden Kinder und Jugendliche aus insgesamt 12 Ländern, innerhalb und außerhalb Europas, untersucht (z.B. Schweden, Serbien oder Palästina). Die Autor*innen berichten eine Teilnehmerzahl von 4.475 Schüler*innen, womit eine beachtliche Stichprobengröße erreicht wird. Während die EG bzw. EGs über einen Zeitraum von 1-4 Monaten an Projekten des Bildungstheaters teilnehmen, besuchen die KG bzw. KGs keine vergleichbaren Programme (vgl. ibid. 19-20). Die DICE-Autor*innen beschreiben dieses „Bildungstheater“ als „vielfältig und facettenreich“ und durch „zahlreiche Prozesse und Vorstellungselemente […] unter Anwendung vieler verschiedener Formen und Herangehensweisen für Drama und Theater“ (ibid. 12) gekennzeichnet. Die DICE-Studie erhebt die Persönlichkeitsmerkmale der Teilnehmer*innen in einem Prä-Post-Design, das eine Messung vor (t1) und nach (t2) der Theaterarbeit vornimmt. Wie beschrieben, können im Rahmen des Quasi-Experiments belastbare Aussagen zur Wirkung der Theaterarbeit nur getroffen werden, wenn die Vortest-Werte von EG und KG keine Unterschiede aufweisen, jedoch die Nachtest-Werte, oder, als Alternative, die Änderungsrate beider Gruppen sich unterscheidet.

Im Ergebnis zeigt die DICE-Studie die folgenden Befunde: Die Autor*innen stellen eine Analyse der Änderungsrate für eine einzige Persönlichkeitsvariable – ‚Kreativität‘ – vor, die sich zwischen EG und KG (signifikant) unterscheidet und einen stärkeren Anstieg für die Theaterarbeit aufweist (vgl. ibid. 25). Für alle übrigen Bereiche (z.B. ‚Empathie‘, ‚Sozialkompetenz‘) präsentieren die Autor*innen lediglich die Ergebnisse der Vortest-Messung (vgl. ibid. 23-31, 33-34). Die aufgezeigten Unterschiede zwischen EG und KG im Vortest – wenngleich häufig signifikant und zum Vorteil des Theaters – lassen naturgemäß keine Aussage über die Wirkung der Theaterarbeit zu. Vielmehr zeigen diese Unterschiede, dass die Teilnehmer*innen sich bereits vor der Theatermaßnahme signifikant unterscheiden. Eine naheliegende Erklärung ist hier die Selbstauswahl zum Theater, die Teilnehmer*innen mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften bevorzugt. (Diese Vortest-Unterschiede verweisen eindrücklich auf die Schwierigkeit des Quasi-Experiments, gleiche Ausgangsbedingungen zwischen den Studiengruppen zu garantieren). Eine belastbare Aussage zur Förderwirkung durch das Theater trifft die DICE-Studie somit nur für ‚Kreativität‘, die durch die Theaterarbeit signifikant stärker ansteigt, als dies ohne Theaterarbeit der Fall wäre.

3.4. Domkowsky (2011): ‚Ausdauer‘, ‚Offenheit‘, ‚Extraversion‘, ‚Empathie‘, u.a.

Die – nach der DICE-Studie – wohl bekannteste Untersuchung zur Wirkung der Theaterarbeit auf die Persönlichkeit ist eine Studie mit dem sprechenden Titel Theaterspielen – und seine Wirkungen, die Domkowsky (2011) durchführt. Die Autorin beforscht in ihrer Untersuchung 84 Schüler*innen, die die 8. Klasse der Gesamtschule und 12. / 13. Klasse eines Oberstufenzentrums besuchen. Die EG umfasst vier Kurse zum ‚Darstellenden Spiel‘, während die KG vier Kurse anderer Fächer, d.h. Englisch, Deutsch, Erdkunde und Philosophie, beinhaltet. Wenngleich die genaue Ausgestaltung der Theaterarbeit zwischen den DS-Kursen variiert, umfassen alle Kurse grundlegende theatrale Methoden, Improvisationen, Szenenentwicklung sowie die abschließende Aufführung eines Stückes (vgl. ibid. 102-104). Die Studie befragt die Schüler*innen zu drei Zeitpunkten im Schuljahr: zu Beginn des Jahres, d.h. vor der Theaterarbeit (t1), zum Halbjahr, d.h. nach 5 Monaten (t2), und am Ende des Jahres, d.h. nach der Theaterarbeit (t3). Die Autorin nutzt einen umfangreichen Fragebogen zur Erhebung der Schülerpersönlichkeit, der eine große Anzahl von Persönlichkeitsbereichen enthält, die durch die Theaterarbeit gefördert werden können (z.B. ‚Ausdauer‘, ‚Offenheit‘, ‚Extraversion‘, ‚Empathie‘).5

Die Ergebnisse der Studie stellen sich dar wie folgt: Die Autorin führt für alle Persönlichkeitsaspekte statistische Analysen durch, die geeignet sind, signifikante Unterschiede zu t1, t2 und t3 zu identifizieren. Gemäß dieser Auswertung gilt für die folgenden Aspekte, dass diese keinen Unterschied vor dem Theaterspiel aufweisen (t1). Für den Zeitpunkt nach der Intervention (t3) ergibt sich das folgende Bild:

In der Gesamtschau zeigt sich, dass die Untersuchung keine belastbaren Befunde zur Förderwirkung der Persönlichkeit durch Theaterarbeit aufzeigt. Gleichzeitig darf, gemeinsam mit Domkowsky (2011: 507-522), betont werden, dass viele deskriptive Befunde der Studie in die gewünschte Richtung weisen. Dies bedeutet, dass die Nachtests beider Gruppen für viele Persönlichkeitsaspekte einen Vorteil für die Theatergruppe zeigen (z.B. für ‚Offenheit‘ oder ‚Extraversion‘). Die Theatergruppe scheint sich hier, im Vergleich zur Kontrollgruppe, in diesen Eigenschaften besser entwickelt zu haben. Leider erfüllen diese deskriptiven Unterschiede jedoch nicht das gängige Signifikanzkriterium, das sich durch einen p-Wert von < 0,05 ausdrückt. Damit kann nicht geschlossen werden, dass diese Unterschiede auch tatsächlich auf verschiedene Gruppen der Wirklichkeit (‚Populationen‘) zurückgehen (d.h. eine Theater- / Kontrollpopulation). Ebenso gut könnten diese deskriptiven Unterschiede aus einer gemeinsamen, identischen Population hervorgegangen sein (‚Nullhypothese‘), wobei die gezeigten Vorteile lediglich die zufällige Verteilung der Teilnehmer*innen auf Theater- und Kontrollgruppe widerspiegeln.6 Oder, in anderen Worten, die deskriptiven Unterschiede erlauben keine Schlussfolgerungen auf Personen jenseits der untersuchten Gruppen selbst. Sie stellen somit lediglich empirische ‚Hinweise‘ dar, die in eine wünschenswerte Richtung weisen, sind jedoch keine Belege, dass Theaterarbeit allgemein bzw. außerhalb der Studie in der Lage ist, diese Persönlichkeitsaspekte zu fördern.

4. Wirkung der Theaterarbeit auf die Persönlichkeit – Experimente

Zur Interpretation der Ergebnisse von Experimenten

Wie erwähnt, stellt der folgende Abschnitt experimentelle Studien zur Wirkung der Theaterarbeit auf die Persönlichkeitsentwicklung vor. Das Experiment unterscheidet sich vom Quasi-Experiment durch seine zufällige Zuweisung der Teilnehmer*innen zu Experimental- und Kontrollgruppe (d.h. ‚Randomisierung‘). Die experimentelle Studie kann damit sicherstellen, dass die unterschiedlichen Persönlichkeitsvariablen zwischen EG und KG vor der Intervention gleichmäßig verteilt sind (d.h. gleiche Mittelwerte und Streuung). Die Theateraktivität, an der die EG teilnimmt, wird somit zum kausalen Einflussfaktor, der sich auf die Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmer*innen auswirkt. Das Experiment erlaubt damit eine direkte, unkonfundierte Wirkungsanalyse bzw. Wirkunngszuschreibung des Theaterspiels auf die Persönlichkeitsbildung der Schauspieler*innen (vgl., für weitere Darstellungen des Experiments, APA 2015: 397; Loewen & Plonsky 2016: 62).

4.1. Freeman, Sullivan & Fulton (2003): ‚Selbstkonzept‘‚ ‚Soziale Fähigkeiten‘, u.a.

Als ein Experiment zur Theaterpädagogik an der US-amerikanischen Grundschule stellen Freeman, Sullivan und Fulton (2003) eine Studie zu Effects of Creative Drama on Self-Concept, Social Skills, and Problem Behavior vor. Die Theaterarbeit der EG besteht hier aus sog. „Creative Drama“, das auf Improvisationen ohne festes Theaterskript aufbaut und nicht in einer Aufführung mündet. Die Theaterarbeit wird über ein halbes Schuljahr hinweg durchgeführt und umfasst eine Schulstunde pro Woche. Die Stichprobe beinhaltet 237 Schüler*innen der 3. und 4. Klasse der Grundschule der Vereinigten Staaten (was der 3. und 4. Klasse in Deutschland entspricht). Alle Schüler*innen werden über eine zufällige Auswahl bzw. Randomisierung einer von vier Studiengruppen zugewiesen. Der Aufbau folgt hier einem Solomon-Vier-Gruppen-Plan, in dem EG und KG jeweils mit – und ohne – Vortest existieren. (Ziel dieses Aufbaus ist es, neben dem Gruppenvergleich auch den Einfluss des Vortests auf den Nachtest zu überprüfen). Die Studie untersucht die Persönlichkeitsaspekte ‚Selbstkonzept‘‚ ‚Problematisches Verhalten‘ und ‚Soziale Fähigkeiten‘. Das ‚Selbstkonzept‘ wird über eine „Self-Concept Scale“ erhoben, die von den Schüler*innen über sich selbst ausgefüllt wird. Zur Erfassung der Aspekte ‚Problematisches Verhalten‘ und ‚Soziale Fähigkeiten‘ wird ein „Social Skills Rating System“ genutzt, das von den Lehrkräften über ihre Schüler*innen ausgefüllt wird.

Das Ergebnis der Studie stellt sich wie folgt dar: Die statistische Auswertung zeigt, dass ein Einfluss der Theaterarbeit für keine der drei Persönlichkeitsbereiche nachgewiesen werden kann (vgl. ibid. 135-136). Oder, mit anderen Worten, die Studie legt keine belastbaren Befunde vor, die eine Wirkung des Theaterspiels auf die Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Die Autor*innen fassen folgerichtig zusammen: „The data do not support the use of creative drama to improve self-concept, reduce problem behavior, or improve social skills of third- and fourth-grade children“ (ibid. 136).

4.2. Schellenberg (2004): ‚Adaptive‘ / ‚Maladapative Sozialkompetenz‘

Ein weiteres Experiment zur Förderwirkung des Theaters auf die Persönlichkeit stellt Schellenberg (2004) mit seiner Studie Music Lessons Enhance IQ vor. (Der Titel der Studie darf nicht irritieren – tatsächlich untersucht der Autor die Wirkung einer Musik-, Gesangs- und Theater-Intervention auf IQ und Persönlichkeit der Schüler*innen). Die Studie teilt eine Stichprobe von 132 Kindern im Alter von 6 Jahren im Zufallsverfahren einer Musik-, Gesangs-, Theater- und Kontrollgruppe zu. (Die Kontrollgruppe erhält keinen zusätzlichen Unterricht). Alle künstlerischen Maßnahmen werden über den Verlauf eines Jahres durchgeführt. Zwar führt die Studie die genauen Inhalte der Theaterarbeit nicht aus, unterstreicht jedoch, dass diese von professionellen Theaterkräften angeleitet wird: „Each [instructor] was an ‚associate‘ of the conservatory, having completed the requirements for teaching-level (i.e., highest) certification in […] drama“ (ibid. 512). Um die Persönlichkeit der Schüler*innen zu erheben, nutzt die Studie den Elternfragebogen des „Behavior Assessment System for Children“, der von den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten über ihre Kinder ausgefüllt wird. So beurteilen die Eltern das Verhalten ihrer Kinder in Hinblick auf ‚maladaptive‘, d.h. ungünstige, ‚Sozialkompetenz‘ (z.B. Skalen zu ‚Aggression‘, ‚Ängste‘, ‚Aufmerksamkeitsprobleme‘) und ihre ‚adaptive‘, d.h. günstige, ‚Sozialkompetenz‘ (z.B. Skalen zu ‚Soziale Fähigkeiten‘, ‚Anpassungsfähigkeit‘, ‚Kommunikationsfähigkeit‘). Die spätere Auswertung vergleicht die Ergebnisse zum Zeitpunkt vor und nach der Intervention in einem Prä-Post-Design.

Das Ergebnis der Studie stellt sich dar wie folgt: In Bezug auf die ‚Maladaptive Sozialkompetenz‘ ergeben sich keine (signifikanten) Unterschiede zwischen den vier Gruppen (vgl. ibid. 513). Der Blick auf die ‚Adaptive Sozialkompetenz‘ der Schüler*innen jedoch zeigt, dass – unter allen künstlerischen Maßnahmen – allein [!] die Theaterarbeit eine signifikante Förderwirkung aufweist. Schellenberg (2004) kommentiert dazu: „Improvements in adaptive social behavior were evident in the drama group, […] but the two music groups and the no-lessons group did not change from before to after the lessons“ (ibid. 513). Damit zeigt das Theaterspiel in Hinblick auf sozial ‚günstige‘ Persönlichkeitseigenschaften (z.B. ‚Soziale Fähigkeiten‘, ‚Anpassungsfähigkeit‘, ‚Kommunikationsfähigkeit‘) im Vergleich zu Musik-, Gesangs- und Kontrollunterricht als einzige Aktivität eine positive Wirkung. Die Studie belegt damit, dass die Theaterarbeit eine Wirkung auf die Persönlichkeit entfaltet, die sowohl über eine natürliche, altersbedingte Entwicklung (d.h. Kontrollgruppe) als auch über eine musikpädagogische Förderung (d.h. Musik- und Gesangsgruppe) hinausgeht. Der Vergleich mit Musik- und Gesangsgruppe zeigt dazu eindrucksvoll, dass es nicht die gemeinsame künstlerische Arbeit ist, die eine Persönlichkeitsförderung bewirkt, da in allen Aktivitäten gemeinsam künstlerisch gearbeitet wird. Vielmehr ist es das Theaterspielen selbst – d.h. seine spezifisch künstlerisch-schauspielerischen Prozesse –, im Gegensatz zum Musizieren selbst, das die gezeigte Förderwirkung aufweist. Das Theaterspiel bewirkt damit nachweislich eine Förderung der ‚adaptiven‘ (d.h. günstigen) ‚Sozialkompetenz‘ von 6-jährigen Schüler*innen, die über ein Jahr hinweg an Theaterarbeit teilnehmen.

Auffällig ist an dieser Stelle, dass Freeman, Sullivan und Fulton (2003) in ihrer Studie keinen signifikanten Vorteil der Theaterarbeit für den Aspekt ‚Soziale Fähigkeiten‘ aufzeigen konnten. Zwei Erklärungen sind an dieser Stelle naheliegend: Zum einen dauert die Theaterarbeit in Freeman et al. (2003) lediglich 4 Monate, in Schellenberg (2004) hingegen ein Jahr. Eine längere Intervention sollte zu einer größeren Differenz zwischen Theater- und Kontrollgruppe führen, die leichter als signifikant nachzuweisen ist. Dazu wurden die Schüler*innen in Freemann et al. (2003) durch ihre Lehrkräfte bewertet, in Schellenberg (2004) dagegen durch ihre Eltern bzw. Erziehungsberechtigten. Es ist plausibel, dass Eltern durch ihren engen Umgang mit den Kindern eine genauere Diagnose ihrer Persönlichkeit treffen können als Lehrkräfte, die zwangsläufig eine gröbere Bewertung vornehmen. Gerade bei kleinen Zuwächsen zwischen Vor- und Nachtest jedoch ist eine genaue Erhebung der Zielvariablen entscheidend, da ansonsten mögliche Unterschiede durch eine ungenaue Erfassung ‚verwischt‘ werden. Beide Punkte könnten stimmig erklären, warum lediglich Schellenberg (2004) eine Förderwirkung des Theaters auf die sozialen Fähigkeiten der Schüler*innen nachweisen kann.

5. Zusammenfassung und Ausblick

Die Befundlage, die aus den Quasi-Experimenten und Experimenten hervorgeht, gibt – aus Sicht der Kulturellen Bildung, Theaterpädagogik und Fremdsprachendidaktik – aktuell wohl weder Anlass zum Jubel noch zur Klage. Fasst man die Studien zusammen, die eine Förderung der Persönlichkeit durch das Theaterspiel untersuchen, so liegen belastbare Erkenntnisse zur Förderwirkung für die Aspekte ‚Kreativität‘ (vgl. DICE 2010) und ‚Adaptive Sozialkompetenz‘ (vgl. Schellenberg 2004) vor. Eine Wirkung auf diese Persönlichkeitsbereiche ist in vollem Einklang mit den Diskursarbeiten der Kulturellen Bildung, Theaterpädagogik und dramapädagogischen Fremdsprachenforschung (vgl., für ‚Kreativität‘, Domkowsky 2006: 37-38; Liebau et al. 2009: 75-76; Klepacki & Zirfas 2013: 62-67; vgl., für ‚Soziale Kompetenzen‘, Ronke 2009: 107-109; Klepacki 2010: 41; Surkamp & Hallet 2015: 7).

Wie jedoch sind Persönlichkeitsaspekte zu bewerten, für die keine gesicherten Befunde – oder lediglich deskriptive Trends – aufgezeigt werden können? Für diese Fälle gilt, wie für jegliche empirische Bildungsforschung, das bekannte Credo der Empirie: „absence of evidence is not evidence of absence“. In diesem Sinne darf das Fehlen an (empirischen) Belegen für einen untersuchten Sachverhalt nicht als Beleg gegen diesen Sachverhalt verstanden werden. Vielmehr ist die Förderung der nicht signifikanten Persönlichkeitsbereiche durch das Theaterspiel nach aktuellem Forschungsstand schlicht (noch) nicht belegt. Weitere Untersuchungen, die geeignete Versuchsdesigns nutzen, könnten diese Annahmen jedoch in Zukunft stützen bzw. belegen.

Gleichzeitig gilt, blickt man zusammenfassend auf die Befundlage, dass die vielfältigen diskursiven Annahmen zur positiven Wirkung der Theaterarbeit auf die Persönlichkeit (vgl. z.B. Baldwin & Fleming 2003; Domkowsky 2006; Liebau et al. 2009; Ronke 2009; Klepacki 2010; Domkowsky & Walter 2012; Klepacki & Zirfas 2013; Boehm 2014; Surkamp & Hallet 2015; Athiemoolam 2018) einer vergleichsweise ‚dünnen‘ Basis an empirischen Befunden gegenüberstehen. Hier sollte es Anliegen der zukünftigen Forschung sein, zusätzliche, gesicherte Befunde beizubringen, die eine weitere theoretische Modellierung unterstützen (vgl., zur Forderung nach empirischer Forschung, Bamford 2010: 134, 144, 177-178; Fink 2012: 11, 20, 37; Liebau et al. 2014: 198-201, 207).

Schließlich ergeben sich aus diesen Überlegungen die folgenden Hinweise für eine zukünftige empirische Wirkungsforschung im Bereich Theaterarbeit und Persönlichkeit:

Abschließend sollte – und dies darf als Schlusswort gelten – bei der Betrachtung der Förderwirkung des Theaters nicht aus dem Blick geraten, dass die Theaterpädagogik nicht auf ihren Beitrag zu kognitiven, sozialen, o.ä. ‚Schlüsselkompetenzen‘ reduziert werden darf. Das eigentliche Anliegen der Theaterarbeit ist die schauspielerische Tätigkeit, die körperlich-sinnbezogene Erfahrung, das zweckbefreite Erproben, das gemeinsame Erleben und interpretative Hinterfragen, die durch – und im – Theaterspiel entstehen. Oder, mit Klepacki (2010: 32), gilt für die Bildungswirkung des Theaters, dass „die Kinder und Jugendlichen sehr wahrscheinlich vor allem etwas über das Theaterspielen selbst lernen“. Wenn Forschende darüber hinaus Wirkungseffekte für die Persönlichkeit der Teilnehmer*innen entdecken, sollte dies immer als ein ‚Bonus‘ gelten.

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