In den wissenschaftsfixierten Fremdsprachendidaktiken haben die Künste lange ein Schattendasein geführt. Derzeit allerdings mehren sich die Zeichen dafür, dass die Künste mehr ins Licht treten und den Boden bereiten helfen für eine neue, performative Fremdsprachendidaktik.1
Auf diesem Hintergrund soll Lutzkers umfangreicher Studie (478 S.) neue Beachtung geschenkt werden, denn der Autor macht auf die vielfältigen Verbindungslinien aufmerksam, die es seit antiker Zeit zwischen Lehre und Kunst gibt und liefert empirische Belege für die Effektivität eines von der (Theater-)Kunst inspirierten Lehrens und Lernens. Seine Studie könnte beispielsweise ein sinnvoller Bezugspunkt sein, um im Rahmen des 14. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (Hamburg, 28.9 – 1.10. 2011) nach Antworten auf Fragen zu suchen, die für die Arbeitsgruppe 11 zum Schwerpunktthema Theatermethoden und Fremdsprachenunterricht formuliert wurden: „Sind die proklamierten Einflüsse der Theaterarbeit auf die Persönlichkeitsentwicklung und die Ausbildung von sprachlichen bzw. interkulturellen Kompetenzen messbar? Und wie müssen Forschungsinstrumente beschaffen sein, um diese komplexen und vielschichtigen Unterrichtsprozesse gegenstandsangemessen zu ergründen?”2
Lutzkers Studie besteht aus zwei Teilen. Im ersten trifft er zunächst die grundsätzliche Unterscheidung zwischen auf der einen Seite pädagogischen Konzepten, die sich an Modellen von Science and Business orientieren und auf der anderen Seite einem Verständnis von Lehren als Kunst.
Die dominante Auffassung, dass Lehren eine Wissenschaft sei, führt er zurück auf Entwicklungen in der Pädagogik des 20. Jahrhunderts. Insbesondere die theoretischen Überlegungen von Johann Friedrich Herbart hätten dazu geführt, dass
... the practices of teaching and teacher education increasingly came to be seen as legitimate fields of scientific inquiry offering the underlying basis for educational theory and practice. This is evident, for instance, in most educational research in which the methods of natural sciences have generally been accepted as a standard paradigm. Concurrently, it has also been the dominant perspective in the training of teachers, shaping the entire approach to pre-service and in-service training. (9)
Lutzker bemüht sich um historische Perspektivierung, aber auch um einen interkulturellen Zugriff, indem er pädagogische Vorstellungen, die im deutschen Raum entstanden sind, mit Entwicklungen in den USA in Beziehung setzt. Insbesondere bezieht er sich dabei auf Elliot Eisner, dessen Name mit einer fundamentalen Kritik an einer Science and Business-Sicht von Pädagogik assoziiert wird und der mit seinen Schriften, insbesondere auch The Educational Imagination (1985), ein theoretisches Fundament für eine andere, kunstbezogene Sicht von Pädagogik gelegt hat.
Der Autor lässt sich stark von Eisners Überlegungen leiten, macht aber darüber hinaus auf interessante Quellen aufmerksam, aus denen sich schöpfen lässt, um die Idee einer Lehre als Kunst weiter zu entwickeln. Das Spektrum reicht von Sokrates und Plato über Schiller, die Philosopie der Kunsterziehungbewegung und der Waldorfpädagogik bis hin zu pädagogischen Ansätzen von Hentig und Rumpf. Parallel zu dieser europäisch-deutschen Perspekive wird mit Bezug auf die Schriften von Stenhouse, Gage, Rubin, Seymour Sarrason, Sawyer der Blick auf die pädagogischen Verhältnisse in den USA gelenkt.
Zwar wird so aus verschiedensten Perspektiven das Lehren als Kunst interessant beleuchtet, doch ist es schade, dass Lutzker diese Perspektiven nicht stärker bündelt und in einer für die Leser übersichtlichen Darstellung zusammen führt.
Im Zentrum von Teil I steht die Begründung, Darstellung und Auswertung eines Forschungsprojekts, in dessen Rahmen Englischlehrer an Waldorfschulen während der sogenannten English Weeks im November 2004 und 2005 fortgebildet wurden. Die Fortbildungen wurden von einem professionellen Clown geleitet, der die Teilnehmer an das Clownspiel heranführte, um sie auf diese Weise besonders auch für artistry in teaching zu sensibilisieren. Lutzker, der zur Erforschung der Effektivität einer solchen Fortbildungsmaßnahme u.a. die Methoden der teilnehmenden und nicht-teilnehmenden Beobachtung einsetzte, ging dabei von folgender Anfangshypothese aus:
The clowning and improvisation courses … conducted in the context of in-service teacher development for Steiner school language teachers have had significant effects on their personal and professional development. Such development may have included and enhanced openness and attentiveness, a heightened sense of empathy, a higher degree of presence and increased improvisational skills. At the same time, these courses have also played an important role in helping teachers to learn to address their own uncertainties, anxieties and mistakes in a more constructive and creative manner. It is postulated that this development may have occurred both in short-term as well as in long-term contexts. (102)
Lutzker stellt detailliert dar, wie er mittels Daten- und Methodentriangulation die in dieser Hypothese implizierten Annahmen erhärten konnte.
Er betont allerdings die Notwendigkeit der Überprüfung der Ergebnisse in Kontexten außerhalb der Waldorf-Pädagogik. Zudem fänden sich in den Rückmeldungen von 55 Fortbildungsteilnehmern zwar klare Anzeichen dafür, dass die in den Workshops gemachten Erfahrungen eine positive Auswirkung auf ihre unterrichtliche Handlungskompetenz hätten, doch der Aspekt der Anwendung und Übertragung erworbener Kompetenz sei noch detaillierter in einem gesonderten Forschungsprojekt zu untersuchen.
Warum gerade das Clownspiel dazu prädestiniert ist, die Fremdsprachenlehre als Kunst besser zu begreifen und eine entsprechende unterrichtliche Handlungskompetenz auszubilden, bleibt in dieser Studie etwas unterbelichtet. Es wäre gut gewesen, wenn Lutzker auch andere Genres der Kunstform Theater weiter ausgeleuchtet und die allgemeinen Verbindungslinien zwischen der Theaterkunst und der Lehrkunst deutlicher gezeichnet hätte.
Im Teil II der Studie wird der Fokus auf das Fremdsprachenlernen gerichtet. Nach einer groben Skizze der Entwicklungen, die in den letzten 20 Jahren dazu geführt haben, dass drama-based approaches to foreign language learning sich inzwischen gut etabliert haben, stellt Lutzker sein zweites Forschungsprojekt vor. Es handelt sich um eine Fallstudie, in der untersucht wurde, welche konkreten Lernerfahrungen Schüler einer 10. Klasse an der Düsseldorfer Waldorfschule im Laufe eines fünfmonatigen Theaterprojekts gemacht haben. Ziel war die Aufführung eines Theaterstücks auf der Grundlage des Tagebuchs der Anne Frank. Es wurde im Schuljahr 2004/2005 von Lutzker geleitet und der Erforschung der Wirkung, die dieses Projekt auf die Schüler hatte, lag folgende Hypothese zugrunde:
I am proposing that the processes inherent in the rehearsing and performing of a full-length drama in a foreign language offer high school students (16-17 years old) significant benefits in a wide range of areas, including new and heightened possibilities of personal, social and language development. (252)
Es gibt inzwischen eine Fülle von (Erfolgs-)Berichten über eine vergleichbar produktorientierte Theaterarbeit mit Schülern im Fremdsprachenunterricht, doch mit Lutzkers Fallstudie wird eine neue Markierung gesetzt, denn es wird der Weg geebnet für eine systematischere Erforschung der vielfältigen Lernprozesse, die sich bei der Probe und Aufführung eines Theaterstücks vollziehen. Das soll beispielhaft anhand eines Auszugs aus dem Kapitel vermittelt werden, in dem Lutzker analysiert, inwiefern die Schüler von der Mitwirkung am Theaterprojekt profitiert haben:
A strong sense of personal involvement was present in almost all of the pupils’ final responses. This is viewed as being connected to the act of fully entering into the feelings and life of another while letting go of one’s own ego. ... The possibilities which artistic activity offers in regard to the development and discipline of emotional life have been discussed. The particular challenges for the actor in learning to fully embody and affirm his role while acting, and being able in the next moment to step back and yield to suggestions and criticisms, has been considered as the prevalent and dynamic mode of learning in the rehearsals. In this regard, pupils were regularly confronted with fundamental emotional challenges and were thereby able to learn, both individually and collectively, forms of emotional self-discipline based on a common artistic goal of trying to achieve the best possible results. This type of learning is intrinsic to artistic work and presents a contrast to most forms of school learning. Artistic experience is thus viewed as an education of feelings through which pupils matured in significant respects. (407)
Lutzkers Studie verstehe ich als ein engagiertes Plädoyer für ein performativ ausgerichtetes Lehren und Lernen von Fremdsprachen. Der Umfang der Studie kann etwas abschreckend wirken; sie hätte an etlichen Stellen stark gestrafft werden können. Nichtsdestotrotz lohnt sich die Lektüre sehr für diejenigen, die eine stärkere künstlerische Orientierung in der Fremdsprachenpädagogik des 21. Jahrhunderts für nötig halten und sich in ihren jeweiligen Kontexten um eine weitere Erforschung von Formen performativen Lehrens und Lernens bemühen.
- Vgl. in diesem Kontext die Beiträge in: Almut Küppers, Torben Schmidt und Maik Walter (2011): Inszenierungen im Fremdsprachenunterricht. Grundlagen, Formen, Perspektiven. Braunschweig, Diesterweg. [Back]
- Vgl. den Ankündigungstext der Arbeitsgruppe 11 zum Schwerpunktthema Theatermethoden und Fremdsprachenforschung unter: http://kongress.dgff.de/de/arbeitsgemeinschaften/ag-11.html (5.4.2011) [Back]