Bühnenpräsenz, guter Stimmansatz und Begeisterung fürs Spielen: Können Lehrende diese Kompetenzen von Kabarettisten erlernen?
Gerlinde Kempendorff-Hoene, selbst Lehrerin und Bühnenkünstlerin, sagt „Ja!“. In ihrem Dissertationswerk Lehrer und Kabarettisten gibt sie gleich zu Beginn einen kurzen Überblick zur Beziehung zwischen Bildung und Bühne, zeigt Parallelen von Lehrer/Schüler/Klassenzimmer zu Kabarettist/Publikum/Bühne auf.
Kabarettistische Kunst erzeugt gelungene Kommunikation, die ihrerseits lebendige Sphäre für Lernprozesse eines Publikums ist. (...) Kabarettisten und Pädagogen (...) sind beide Kommunikatoren mit dem Ziel, eigensinnige Lernprozesse ihrer Mitmenschen anzuregen. (147)
Die Autorin macht bereits auf den ersten Seiten deutlich, dass in der Lehrerausbildung (Lehrer werden hier stellvertretend für Menschen in Führungspositionen genannt) essentielle Grundlagen der Kommunikation verloren gehen: vor allem in Bezug auf die Stimme, die Präsenz und die Kommunikationskultur. Es ist nicht neu, dass ästhetische Erlebnisse gepaart mit Freude großen Einfluss auf die Aufwertung der Persönlichkeit haben und auch „der Erfolg (...) eine zuverlässige Droge für die Motivation“ ist „neue Herausforderungen anzunehmen.“(43). Die Autorin versucht durch den Vergleich Lehrer/Kabarettist die ästhetischen Erlebnisse von Schülern zu steigern, indem Lehrer didaktisches und methodisches Handwerkszeug erlernen.
Gerlinde Kempendorff-Hoene konzentriert sich auf drei Aspekte: (43)
- Das Spielerische wird nicht in allen Fächern vermittelt: Freude am Lernen ist wichtig. Wie können Lehrer dies praktisch fördern?
- Die Anerkennung des Berufes Lehrer ist fraglich: Wie kann das Selbstbewusstsein des Lehrers gestärkt werden?
- Obwohl das Berufsziel Lehrer verlockend ist, kann nicht jeder mit Kindern/Jugendlichen gut umgehen. Wie kann Freude, die so grundsätzlich für erfolgreiches Arbeiten ist, entstehen? Des Weiteren ist die je nach Bundesland unterschiedlich ausfallende Bezahlung frustrierend und Referendare werden oft als Lehrer eingesetzt, ohne die Möglichkeit zu haben, genug Erfahrung in Praktika zu sammeln. Wie kann dem entgegengewirkt werden und wie lassen sich emotionale und soziale Kompetenzen verstärken?
Von Schiller bis zu den Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften heute – überall wird die Wichtigkeit, Dringlichkeit, ja Notwendigkeit des Spieles, des ästhetischen Denkens, der emotionalen Intelligenz und der sozialen Bildung neben dem Fachwissen eingefordert. Viele Erkenntnisse sind seit Jahrzehnten bekannt und heute noch immer nicht flächendeckend eingesetzt. Stattdessen wird über die Ergebnisse der Pisa-Studien geklagt. Auf wen oder was warten wir? (174)
Die Hypothese der Arbeit ist demnach wie folgt: Menschen in Führungspositionen können von Bühnenkünstlern lernen. (9)
Um diese These zu beweisen, gibt die Autorin einen Umriss des Schillerschen Ästhetikkonzepts, sowie der Geschichte des Kabaretts und sie stellt die Inhalte der mit Kabarettisten und Lehrern geführten Interviews vor. Ihrer Auffassung nach könnte ein höheres Bildungsniveau bei Schülern durch bessere Präsentationstechniken von Lehrern bewirkt werden. Gebildete Schüler wären wiederum ein gutes Publikum für Kabarettisten – ein Kreislauf, der logisch erscheint, doch wie genau können Lehrer von Kabarettisten lernen?
Zwanzig Bühnenkünstler wurden zu vorher festgelegten Schwerpunkten befragt, die darauf zielen, inwieweit es zwischen den Berufen Lehrer und Kabarettist Ähnlichkeiten gibt, bzw. was Lehrer vom Bühnenberuf lernen könnten und was von der Lehrerfortbildung aufgegriffen werden könnte. Sie merkt selbst an, dass die gewählten Schwerpunkte noch Möglichkeiten für weitere Fragen bieten und bleibt bei der Erklärung ihres Fragenkatalogs nicht eindeutig. Das theoretische Konzept scheint mir nicht ganz schlüssig, die Fragen lassen einerseits einen umfangreichen Antwortkatalog antizipieren oder andererseits aber auch einen sehr einseitigen, denn für die Beantwortung der Frage „Gibt es die von mir hypothetisch behauptete Nähe beider Berufsbilder?“ reichte ein klares Ja oder Nein. (117)
Obwohl die Auswahl der Bühnenkünstler bemerkenswert ist (darunter die international bekannte Diseuse Gisela May und der Comedystar Jürgen von der Lippe), ist die Verbindung zwischen Lehrern und Kabarettisten aus der Erkenntnis, dass viele Kabarettisten aus dem Beruf des Lehrers kämen, doch recht dünn. Mir stellt sich die Frage, ob die Defizite der Lehrerbildung auch von anderen Berufsgruppen hätten geäußert werden können? Bestand überhaupt die Voraussetzung, dass sich die Bühnenkünstler mit der aktuellen Schulsituation auskennen oder sind die Antworten eher generelle Meinungen zur Berufsgruppe Lehrer, die nicht unbedingt ausschließlich von Kabarettisten zu erwarten sind?
Auf der Lehrerseite werden die Antworten von zwölf Erziehungswissenschaftlern wiedergeben, die ihrerseits auf eine einzige Frage nach Gemeinsamkeiten und/oder Unterschiede zwischen beiden Berufen reagierten. Die aktuell meist in der Wissenschaft und nicht in der Schule arbeitenden Interviewten konnten recht willkürlich auf die Frage reagieren. Empfehlenswerter wäre gewesen, wenn die Berufsgruppe Lehrer mehr einbezogen worden wäre. Schließlich sind sie doch die Experten, die in der Schule tätig sind und am besten kritisch darüber reflektieren können, wie ihr Unterrichten noch verbessert werden könnte.
Die Antworten beider Berufsgruppen beeinflussten einen Entwurf für die Gründung eines Instituts für Kommunikationskultur, welches aus zwei parallelen Modellen besteht:
- ein Zentrum für Auftrittskompetenz für Menschen in Führungspositionen im Allgemeinen und
- ein Masterstudiengang Master of Education and Play als Fortbildungsangebot für Lehrende oder Lehramtsanwärter
Das letztere Ausbildungs- und Weiterbildungskonzept ist das Bemerkenswerteste der Dissertation. Mit viel Feingefühl und praktischem KnowHow für die essentiellen Dinge im Lehrerberuf beschreibt die Autorin den Aufbau des Masterstudienganges, der sowohl aus obligatorischen Einheiten (Stimmbildung, Freies Erzählen, Bewegung, Präsentationstraining) und fakultativen (Theaterpädagogik, Medienkunde, Begegnungen – Praktika und Besuche an Schulen, Zusatzangebote) besteht. Das Zentrum für Auftrittskompetenz wiederum umfasst ein Zusatzangebot an Intensivkursen zu den Themen.
Zusammenfassend kann ich dieses Buch Konzeptentwicklern im Bereich Lehrerfortbildung empfehlen, da es konkrete und gut begründete Lösungsvorschläge für den Ausgleich von Mängeln in der Lehrerbildung besitzt. Ich teile die Meinung, dass die zur Bühnenerfahrung notwendige Spontanität, die Flexibilität im Umgang mit verschiedenen Zuschauern, die Schlagfertigkeit und die Freude zu begeistern für den Lehrerberuf erfolgreich einsetzbar sind. Ebenfalls könnten kleinkunstinteressierte Lehrer profitieren, die den Vergleich Lehrer/Kabarettist interessant finden und mehr über die Geschichte des Kabaretts erfahren möchten als auch Interesse daran hätten, Angebote des beschriebenen Fort- und Weiterbildungsinstituts wahrzunehmen.
Der Aufbau ist insgesamt schlüssig, der philosophische Ansatz verständlich, allerdings kann der spontane Schreibstil durch das bunte Auftauchen von Zitaten, wissenschaftlichen Erkenntnissen oder persönlichen Erfahrungen der Autorin leicht verwirren. Positiv zu erwähnen ist der Ansatz, die Schulen für Anregungen von außen zu öffnen. Die Autorin nennt entsprechend bereits begonnene Initiativen in Berlin und Brandenburg zur Verbesserung der Lehr- und Lernsituation. Aktuell erwähnenswert möchte ich die Initiative „Belcantare Brandenburg – Jedes Kind kann singen!“ ergänzen, eine neue Fortbildungsreihe, um Schüler an Grundschulen musisch zu fördern (siehe: http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/351+M514642184e8.html).