Die Welt – ein (virtuelles?) Lebensdorf

Sabina Vecchione Grüner, Sigrid Unterstab

Jahrgang V, Ausgabe 2, 2011, doi:10.33178/scenario.5.2.4
© 2011, The Author(s). This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International License.

Zusammenfassung

Im letzten Schuljahr begann für die Schüler/innen der Klasse 2E des Gymnasiums Francesco Petrarca in Triest in ihrem Deutschunterricht ein neues Abenteuer: Sie bekamen die Möglichkeit, ein Theaterstück in der Fremdsprache zu entwickeln. Aus ihren eigenen Ideen beim Szenischen Improvisieren, angeleitet durch ihre Lehrerin und eine Theaterpädagogin aus Deutschland, entstanden einzelne Szenen und dann die Geschichte für ein ganzes Stück. Zum Proben, Organisieren von Auftritten und Theaterreisen agierten sie immer mutiger in der Fremdsprache und benutzten dafür die ihnen eigenen modernen Kommunikationsformen. 

Contents

  1. Einführung
  2. Idee und Ziele des Projekts
  3. Umsetzung
  4. Einsatz von Facebook
  5. Fazit
  6. Schlusswort

1. Einführung

In dem Mare Magnum vom social network Facebook, in dem Millionen Benutzer aus aller Welt schwimmen und zahllose Inhalte (Links, Kommentare, Fotos, Nachrichten…) täglich teilen, verbergen sich, wie auf dem Meeresgrund, verschiedene Realitäten: mehr oder weniger oberflächliche Freundschaftsbeziehungen, Werbung für Politiker, Rockstar-Exibitionismus, Protestgruppen, Mythomanen-Gruppen, Liebesgeschichten, Solidaritätsinitiativen, gesetzeswidrige Handlungen durch Raub- und Betrug, wie etwa Phishing etc…

In diesem unübersichtlichen Ozean kann man auch Perlen finden. Eine kleine davon, so meinen wir unbescheiden, ist unsere Facebook-Gruppe „Ugo Party!“, die das ganze Abwickeln eines Theaterprojekts des Liceo Petrarca aus Triest in Zusammenarbeit mit Sigrid Unterstab von Wortspiel-Berlin begleitet hat und die immer noch existiert.

2. Idee und Ziele des Projekts

Die Idee zum Theaterprojekt hatte ihren Ursprung darin, dass die Deutschgruppe einer vorletzten Klasse des Liceo Ginnasio Francesco Petrarca aus Triest, Italien, (17 siebzehnjährige Schüler/innen auf dem Sprachniveau A2-B1 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen) im Deutschunterricht schon in den vergangenen Jahren eine gewisse Vorliebe für die szenische Darstellung, für die Dramatisierung von Situationen gezeigt hatte. Die Deutschlehrerin Sabina Vecchione Grüner wollte also dieser Neigung der Schüler/innen entgegenkommen, um das Sprachenlernen durch neue Lernwege zu bereichern.

Folgende Ziele sollten mit einem Theaterprojekt erreicht werden:

Das dritte Ziel ergab sich besonders aus der speziellen Situation der Stadt Triest, die über jahrhundertelange Traditionen als Schmelztiegel im Zentrum Europas verfügt: hier treffen seit Langem verschiedene kulturelle, nationale und religiöse Gruppen aufeinander. In der Klasse 2E sind drei junge Frauen mit einem Migrationshintergrund, ihre Familien stammen (teilweise) aus Kroatien, China und den Niederlanden.

Sicher tragen auch sie aufgrund ihrer Geschichte zu mehr Verständnis für Sprachen und den Blick hinter die (Bahnhofs-)Kulissen des Lebens bei.

3. Umsetzung

Als vorbereitende Arbeit hatte sich die Gruppe mit dem Musikvideo “Ich bin Ausländer – leider zum Glück” der Gruppe “Torpedo boyz “, einer humorvollen Betrachtung des Lebens eines jungen Japaners in Berlin, befasst. Danach entstanden erste Interviews auf Deutsch innerhalb der Klasse zum Thema “Ausländer”, die auch aufgezeichnet wurden. Der erste Zugang zum Thema war eher ein ernster, die Interviews sachlich und dokumentarisch. Es wurden aber auch schon szenische Arbeiten begonnen, zwei Liedtexte verfasst, die sich an das Originallied anlehnten und zwei Charaktere entwickelt.1

Im Laufe der Probenarbeiten entwickelten die Schüler/innen viele augenzwinkernde Momente zu den Themen Migration und Reisen, Klischees usw., sie erfanden die fiktive Figur UGO, deren Absurdität sehr viel Nachdenken beim Publikum in Gang setzte.

Die eigentliche Umsetzung des geplanten Theaterprojekts begann im November 2010, als die Gruppe die Gelegenheit hatte, eine Woche lang die Unterstützung der Theaterpädagogin Sigrid Unterstab aus Berlin für dieses Projekt zu haben. Möglich wurde dies durch die „Pasch“-Initiative (Schulen-Partner der Zukunft) des Auswärtigen Amtes in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Im Jahre 2008 war die Schule Pasch-Schule geworden, wodurch sie verschiedene Unterstützungen für Lehrer/innen und Schüler/innen erhält.2

In dieser ersten, entscheidenden Phase gelang es Sigrid Unterstab, durch zahlreiche Übungen den Schüler/innen einen Einblick in das phantastische Kreativitäts- und Ausdruckspotential des Theaters zu verschaffen, was die Gruppe unglaublich belebte und begeisterte, und auch der Deutschlehrerin viele neue, für den Unterricht besonders bereichernde Impulse und Erkenntnisse vermittelte. Innerhalb dieser Woche wurde von den sich allmählich immer freier fühlenden, immer kühner und kreativer werdenden Schüler/innen Szenen erfunden und improvisiert, die dann den Kern des ganzen Theaterstücks ausmachten.

3.1. Erste Theaterübungen mit Sprache

P-T-K. Eine Übung mit Lauten und Worten. Alle gehen frei durch den leeren Raum und sprechen spielerisch die Laute: P-T-K. Im nächsten Schritt sprechen sie Worte mit den Anfangsbuchstaben P, T und K: Publikum, Tangotänzer, Kirschsaft, Kirchenglocke, Paprika, Triestiner. Die Worte können sich wiederholen. Es geht um Atmung und Aussprache aus einer Handlung heraus, bei der der ganze Körper in Bewegung ist.3 Die Darsteller lernen, auf ihre Atmung zu achten und darauf, wie diese Laute im Deutschen gesprochen werden.

Stummes Begrüßen. Wieder gehen alle frei durch den Raum und nehmen Blickkontakt untereinander auf. Wenn sich zwei Personen treffen, begrüßen sie sich stumm. Sie können sich umarmen, verbeugen, die Hände reichen usw. oder sich auf ganz unkonventionelle Weise begrüßen: z.B. sich an den kleinen Zehen berühren oder springen. Danach gehen sie auseinander, um neue Begegnungen zu suchen. Im zweiten Schritt begrüßen sie sich in Phantasiesprachen, in den Varianten laut, leise, langsam gesprochen, schnell usw.

Diese Übungen sind mehr als reine Körperübungen: sie schulen die Fähigkeiten, Muskeln, Denken, Wahrnehmung, Gefühle, Phantasie von sich aus in Gang zu setzen und auf andere zu reagieren. Sie ermöglichen die Starrheit der eigenen Körperlichkeit aufzubrechen, Gewohnheiten aufzuheben. Ein entspannter Körper wird aufnahmebereiter für Impulse und lässt der Phantasie und dem Spiel der Gedanken mehr Raum. Diese Impulse werden beim Spiel in Handlungen überführt. Außerdem stellt sich ein gelösteres Gruppengefühl ein und oftmals starre Unterrichtssituationen werden offener.

Bei vielen dieser Übungen wurde Musik eingesetzt: deutsche und italienische Popmusik, Jazz, Klassik.4

3.2. Übungen, die Szenische Improvisationen vorbereiten

Drei Gesichtspunkte sind für die Auswahl dieser Übungen wichtig:

In dieser vorbereitenden Phase lernten die Darsteller/innen, ihr Verhalten auf der Bühne durch Reduktion von Sprache, Gesten und Bewegungen zu verdichten und ihren Ausdruck zu verstärken. Beispiele sind:

Drei-Wort-Sätze. Eine Übung, die für Darstellende gedacht ist, die ihre sprachliche und spielerische Unsicherheit auf der Bühne durch zu viele Worte und Aktionen überspielen wollen.

Zwei Personen stellen sich einander gegenüber auf (wenn der Raum und die Gruppengröße es zulassen, sehr weit voneinander entfernt, dann kann auch gleich das für die Bühne wichtige laute Sprechen geübt werden). Sie führen kleine Dialoge. Jeder Satz hat drei Wörter; nicht mehr, nicht weniger. (Bei späteren Proben können auch Fragmente aus dem Rollentext verwendet werden.)

Person A beginnt, B antwortet, z.B.:

A: „Was soll das?“

B: „Bleib ganz ruhig“

A: „Du bist spät.“

B: „ Ja, das passiert.

A: „ Bitte nicht heute.

B: „Streik, Mensch, Streik!

A: „Streik, schon wieder?“

B: „Ja, doch, ja!” ...

Solche kurzen Sätze bzw. Wortgruppen ermöglichen es, Gestaltungsmittel zu finden, die interessanter als lange Dialoge sind und sie vermitteln auch ein Gefühl für Pausen auf der Bühne, die Spannung schaffen.

Diese Übung kann von vielen Paaren gleichzeitig im Raum durchgeführt werden, die Spielleiterin beobachtet und greift evtl. ein. Sie korrigiert und achtet auf die Einhaltung der Regel, nicht mehr als drei Worte zu sprechen, was anfangs Schwierigkeiten bereiten kann.

Diese Übungen haben die Ziele:

Vier Felder. Es werden Schnipsel mit Sätzen oder Wortgruppen verteilt, jede/r Schüler/in bekommt ein Papier in die Hand. Auf dem Boden sind vier Felder abgeklebt: für die vier Emotionen Glück, Angst, Trauer, Wut. Alle laufen mit ihren Sätzen durch den Raum und sprechen in den jeweiligen Feldern den Text in dieser Emotion. Sie wählen nur die Emotionen, in denen sie sprechen möchen und suchen sich nach und nach Dialogpartner/innen. Immer wieder werden die Texte getauscht, neue Dialoge entstehen. Nach einer Weile werden die Schüler/innen aufgefordert, ganz bewusst Dialogpartner/innen zu suchen, die in einem anderen Feld stehen. Über die Grenze hinweg sprechen sie mit verschiedenen Gefühlen: Angst trifft Glück, Trauer trifft Wut usw.

Durch die verschiedenen Haltungen entstehen Konflikte und der Text wird dramatisch. Die Schüler/innen sind oft selbst überrascht, mit welcher Lautstärke, wie emotionsgeladen sie die Texte sprechen, spielen oder schreien.

3.3. Mini-Improvisationen und Szenische Improvisationen

Über Miniimprovisationen (kurze Szenen mit vorgefertigten Kurztexten, Schüler/innen entwerfen die Situation) und Szenische Improvisationen (mit freiem Text und vorgegebenen Konflikten zu verschiedenen Themen) gelangt die Gruppe Schritt für Schritt zum Text des Stückes.

Wichtige Vorüberlegungen vor Miniimprovisationen sind:

Weitere Fragen: wann? warum? wozu? wie? schließen sich in der weiteren Bearbeitung an.

Die Szenen werden jeweils präsentiert, die anderen Schüler sitzen währenddessen im Publikum und beschreiben danach, was sie gesehen haben. Eine Beschreibung der Situation nach dem gleichen Muster (Wer war das? Wo waren sie? Was konkret war ihr Problem?) ist hier hilfreicher als eine Bewertung der schauspielerischen Leistung.5

Bei den Übungen und Szenen zeigte sich, dass die Gruppe sehr heterogen war: sowohl sprachlich als auch schauspielerisch. Viel einfacher als im herkömmlichen Unterricht lassen sich durch Binnendifferenzierung solche Unterschiede für die gemeinsame Arbeit gut nutzen.

3.4. Übungen mit Hindernissen

Einem Darsteller mit längerer Spielerfahrung und großer Spielfreude wurden mitunter schwierigere Aufgaben gestellt, z.B. Übungen mit Hindernissen:

Während der Szene musste er ein Fußbad nehmen oder sein Arm war in Gips. Dadurch konnte er eingeschliffene Gewohnheiten auf der Bühne ändern (gestikulieren, herumlaufen) und neue Ausdrucksweisen finden (z.B. durch Mimik).

Andere, die eher Hemmungen hatten, sich auf der Bühne zu bewegen oder sich zu äußern, bekamen Aufgaben, bei denen sie etwas vergrößern oder verstärken sollten.

3.5. Beispiel einer Szene

Eine Kostprobe der Texte, die in diesen ersten Tagen entstanden, mag diese Szene aufzeigen, die dann als Szene 4 in das Theaterstück einging.

Die überhebliche Frau und ihr Mann treten von rechts auf die Bühne: sie geht vor und hat nur eine kleine Tasche, er schleppt schwere Koffer. Die beiden gehen auf zwei Stühle links zu, um sich zu setzen.

Der alte Mann beginnt, die Zeitung zu lesen. Von der rechten Seite kommt ein junger Mann, der neben ihm Platz nimmt. Nach einigen Momenten offensichtlicher Verlegenheit für den jungen Mann, da der alte Mann die Zeitung ruhig weiter liest, versucht der junge Mann, ein Gespräch zu beginnen.

JUNGER MANN: „Guten Morgen!“

ALTER MANN (auf die Lektüre konzentriert): „Ja... Guten Morgen.“

JUNGER MANN: „Ehm...Haben Sie gestern Bayern München gesehen?“

ALTER MANN (er schaut ihn irritiert an): „Nein. Ich hasse Bayern München. Ich habe Barcelona gesehen! Barcelona! Barcelona!“

JUNGER MANN: „Ah, verstehe...“

Von der rechten Seite kommen eine Mutter und ihre Tochter und sie setzen sich neben den jungen Mann.

JUNGER MANN (freundlich): „Guten Morgen!“

MUTTER (freundlich): „Guten Morgen!“

TOCHTER (zum jungen Mann): „Du, Hallo!“

TOCHTER (frech zum alten Mann): „Hallo, Du, alter Knacker! “

Der alte Mann sieht stumm das kleine Mädchen böse an. Inzwischen versucht das Kind, dem Mann die Zeitung wegzunehmen und nimmt sich eine Seite.

ALTER MANN: „Aber.. aber....!! Entschuldigung, das ist meine Zeitung!!“

TOCHTER: „Mutti, ich will lesen!“

MUTTER: „Lassen Sie sie lesen!“

ALTER MANN: „Aber...“ (er fängt wieder an, zu lesen, aber das Kind ist weiter lästig und hustet ihn an) „Nein!!“ (zum jungen Mann) „Ehhhhhhh Bayern München!?! Tauschen wir den Platz!“ (der junge Mann setzt sich auf den Platz neben dem Kind, aber auch er beginnt mitzulesen, und dabei hustet er stark und wiederholt in die offene Zeitung, was den alten Mann wieder stört)

ALTER MANN: „Hast du denn keine Manieren?“

JUNGER MANN: „Hm. Entschuldigung... Ich bin nicht so gesund!“

ALTER MANN: „Nein! Du bist gar nicht gesund!“

Der alte Mann steht verärgert auf und geht nach rechts ab.

Das Stück entwickelte sich später durch die regelmäßige Arbeit einmal in der Woche, am Nachmittag nach Ende des Unterrichts in der Schule und als Hausaufgabe durch das gemeinsame Verfassen des Textes weiter.6

Die Grundidee zur Handlung war es, mitmenschliche Beziehungen zu schildern, vor allem wollte man Vorurteile und deren Sinnlosigkeit präsentieren. Also dachten wir an ein Stück, in dem kleine Rivalitäten, Missverständnisse, aber auch Solidarität und Gefühle zum Ausdruck kommen. Als Schauplatz wählten wir einen Bahnhofswartesaal, weil dieser, als Ort, wo sich die Wege verschiedener Menschen kreuzen, als Spiegel des Lebens verstanden werden kann. Deswegen heißt die Stadt, wo dieser Bahnhof steht: Lebensdorf.

Sigrid Unterstab war Anfang März wieder in Triest und arbeitete noch einmal mehrere Tage mit der Gruppe, diesmal an der Vorbereitung der ersten Aufführung im Theater des Jugendzentrums „Ricreatorio E. Toti“, die ein großer Erfolg wurde. Für das Stück, dass internationale Protagonisten und deren Kommunikationsprobleme thematisiert, wurden für dieses Heimspiel einige Passagen ins Triestinische übertragen, was in Triest, wo dieser Dialekt gut verstanden wird, großen Anklang fand und was auch die Kommunikationsprobleme innerhalb Italiens belächelt. Für die Aufführungen anderswo wurden diese Passagen auf Hochitalienisch in Abgrenzung zum Sizilianischen gespielt.

4. Einsatz von Facebook

In der Zeit zwischen November und März war der Kontakt zwischen Deutschlehrerin, Schülergruppe und Theaterexpertin, trotz ihrer vielen Reisen durch Europa, immer rege und konstant geblieben, und das geschah dank der im November auf Facebook gegründeten privaten Gruppe. Wir Lehrer/innen hätten vielleicht eine didaktische Plattform wie moodle o.ä. gewählt, aber es war die Initiative der Schüler, ihre eigene (Facebook-)Welt mit dem Projekt zu verbinden. Diese Facebook-Gruppe, der der Name „Ugo Party!“ (nach dem Namen einer fiktiven, aber vielleicht der bedeutendsten Figur des Stückes) gegeben worden war, war der Treffpunkt für alle Beteiligten, Ort des Meinungsaustausches, der Speicherung und des Materials (Fotos, Videos, Links, Texte), der Möglichkeit für jedes Mitglied, die zum Theaterstück gehörenden Texte zu ergänzen und zu bearbeiten und die eigenen Beiträge bzw. die Korrekturen (seitens der Deutschlehrerin) hinzu zu fügen. Die Benutzung dieses Mittels ermöglichte das unmittelbare und gleichzeitige Verhandeln über verschiedene Fragen bezüglich Organisation, Requisiten, Bühnenbild, Kostümen, wie zum Beispiel:

Eintrag von V.:

Leute, was sagt ihr zu dem Koffer, den ich auf dem Dachboden meiner Großmutter gefunden habe? (wobei die Frage natürlich vom Hochladen des entsprechenden Bildes begleitet wurde)

Eintrag von S., Darstellerin einer Putzfrau:

Leute, wer kann mir morgen bitte ein Paar Gummihandschuhe mitbringen, ich komme nicht mehr rechtzeitig in einen Laden.

Eintrag der Theaterpädagogin:

Eine wichtige Information: In Turin gibt es keinen Vorhang. Zwischen dem 1. und 2. Akt muss also der Umbau im Dunklen erfolgen, die Polizei evtl. ins Publikum gehen. Was meint Ihr?

Eintrag des Kameramannes:

Ich schicke Euch den Link zu Eurem Kurzfilm. Viel Spaß beim Anschauen.

Eintrag der Lehrerin:

Das Theater hat mitgeteilt, dass wir morgen den Raum für die Proben erst um 15.00 Uhr und nicht schon um 14.00 Uhr zur Verfügung haben. Ihr habt also Zeit, nach Haus essen zu gehen. Es ist folglich nicht mehr nötig, dass ihr die Requisiten am Morgen in die Schule mitbringt!

Die Vorteile einer solchen Möglichkeit, alle Beteiligten rechtzeitig und gleichzeitig zu informieren und in Realzeit Nachrichten zu verbreiten, was sonst jedes Mal 20 Telefonanrufe erfordert hätte, liegen auf der Hand.

Ganz wichtig erwies sich die Hilfe des Facebook-Mediums bei der Vorbereitung der Reise nach Turin zum Wettbewerb „Mit Deutsch auf die Bühne“ sowie der Fahrt nach Aschaffenburg zum Schüleraustausch, wo wir das Stück unserer Partnergruppe vorspielten, und bei der Organisation einer Reise nach Berlin, wo zwei Aufführungen geplant waren, was sich allerdings leider zerschlug. In der Phase, als es auf Messers Schneide stand, ob die Reise stattfinden kann, gab es täglich unzählige Einträge in der Gruppe. Dazu gab es die Möglichkeit, unter allen Gruppenmitgliedern und nur unter Gruppenmitgliedern zu chatten: Es handelte sich da um regelrechte Diskussionen „im Plenum“, in denen man die Informationen über Buchungen austauschen und besprechen und die Absprachen schnell treffen konnte.

Durch die Gründung einer Facebook-Gruppe für ein Projekt, wie dieses der Schüler aus Triest, steigt die Eigenaktivität enorm, weil für Absprachen nicht wie sonst die Lehrerin oder Theaterpädagogin anwesend sein müssen, weil vorgeschlagen und demokratisch verhandelt wird, weil sich schüchterne Schüler, die sich mündlich evtl. nicht zu Wort melden würden, im Chat äußern. Für uns, Lehrerin und Theaterpädagogin, war besonders beeindruckend und erfreulich zu sehen, wie ein Schüler, der anfänglich wegen seines eher zurückgezogenen Charakters nicht mitspielen wollte, dann aber akzeptierte, die Bahnhofslautsprecherstimme zu sprechen, bis er an einem gewissen Punkt auch als Spieler in einer Rolle auftrat. Dieser Schüler übernahm viel Technisches und Organisatorisches und wurde also zu einem zuverlässigen, immer selbstsichereren Bezugspunkt in unserer Arbeit. Auch dass eine Schülerin, die sich zu Probenbeginn weniger zutraute, beherzt die Rolle eines Polizisten übernahm, weil die Darstellerin erkrankt war, war imponierend.

Im gemeinsamen Niederschreiben des Textes, das in Facebook möglich war, war natürlich der vom jeweiligen Schüler hinzugefügte Teil allen zugänglich. Das stellte einen Ansporn dar, den Text selbst so gut wie möglich zu pflegen: Zum Teil wird da eine gewisse Dosis an Ehrgeiz mitgespielt haben, aber sicher hing diese besondere Pflege auch vom Gefühl ab, dass der Text, der nach und nach dank der Beiträge aller seine Gestalt erhielt, ein gemeinsames Produkt, ein gemeinsames Gut war. Dieses Gefühl der gemeinsamen Verantwortung und Urheberschaft bezog sich übrigens auf alle kleineren oder wichtigeren Entscheidungen und machte aus der Schülergruppe eine immer stärker solidarische Gruppe.

Die Facebook-Gruppe „Ugo Party!“ diente nicht nur zu praktisch-operativen Zwecken; manchmal war sie der Ort, wo man mit den anderen Gefühle teilte, sei es Sorge um die Aufführung, Hoffnung auf den Wettbewerb, Angst („Mein Gott, ich werde meine Rolle vergessen!“), Jubel wegen Erfolgs, Enttäuschung wegen der nichtrealisierten Reise oder die Freundschaft einer Mitschülerin gegenüber, die krank wurde und längere Zeit nicht in die Schule kam. Zu ihr wurde auch über die Facebook-Gruppe aus der Entfernung Kontakt gehalten, und auf diese Weise konnte sie nicht nur am Verlauf des Projekts Anteil nehmen, sondern sie sah, wie die Mitschüler und Lehrerinnen oft an sie dachten: Alle hießen sie auch bei ihrer Rückkehr natürlich liebevoll per Facebook willkommen. Später war das Mädchen sofort wirklich sehr aktiv als Darstellerin und bei der Regie beim Projekt; zum Zusammenhalt hatte UGO-Party beigetragen.

Fast schon kurios die „Tochtergruppe“: als es bei Wortspiel-Berlin etwas zu feiern gab, wurde kurzerhand eine neue Gruppe, ohne die Berliner Mitglieder, gegründet und online ein Geschenk verabredet: natürlich war das ein kleiner Film, der Figuren (einen Pizzabäcker, eine Pennerin, eine Zeitungsverkäuferin, Mutter und Tochter usw.) und Gags des Originalstücks verarbeitete und eine Überraschung in Form einer Szenischen Gratulation wurde, die die Empfänger sehr erfreute. Hier zeigt sich besonders deutlich, dass die Arbeit am Theaterstück kein Einzelprojekt geblieben war, sondern dass nachhaltige Prozesse in Gang gesetzt wurden, durch die die Mitspieler „gar nicht anders konnten“ als zu inszenieren und zu spielen. Die Figuren haben weiter gelebt, fast eine selbstständige Identität entwickelt, so dass sie am Ende auch reif genug waren, eine neue Geschichte zu erzählen. Der Migrant Mario Rossi, der im Laufe der Erarbeitung des Stückes als Rolle gestrichen worden war, tauchte plötzlich wieder auf und erinnerte somit auch noch einmal alle daran, wie eigentlich alles begonnen hatte. Zusätzlich wurden – fast nebenbei – Mittel der Filmgestaltung genutzt: Vor- und Abspann, Einbau grafischer Elemente. Die Motivation dafür lag auf der Hand.

Ein weiterer Vorteil des sozialen Netzwerks ist, dass man immer auf dem Laufenden ist: Wenn ein Facebook-Freund etwas auf das Profil unserer Gruppe schreibt oder hochlädt: Man bekommt in solchen Fällen automatisch eine Mail und, falls man schon „drin“ ist, erscheint eine kleine Nachricht in der oberen Leiste auf der eigenen Facebook-Seite, die einen informiert, ob in einer Gruppe, zu der man gehört, etwas Neues passiert ist.

5. Fazit

Dieses Projekt hat, dank der Kombination von Spiel und sprachlichem Ausdruck und Spiel der Motivation zum Erlernen der deutschen Sprache einen außergewöhnlichen Impuls gegeben.

Das Entwickeln eines ganzen Theaterstücks aus den von den Schüler/innen selbst improvisierten Szenen; die gemeinsame Stückerarbeitung und Regie, von Lehrerin und Theaterpädagogin nur angestoßen und koordiniert und nicht zuletzt die Führung der privaten Gruppe in Facebook sind alles Aspekte, die den kreativen und innovativen Charakter des Projekts hervorheben; sie entsprechen nicht den traditionellen Unterrichtsverfahren, sondern sie zeugen von der Suche nach neuen, kreativeren, den Jugendlichen vertrauten und ihrer Wirklichkeit näheren Wegen.

Die Vorteile speziell der Arbeit mit einer Gruppe in einem sozialen Netzwerk sind

Selbstverständlich ist es wichtig, mit den Schüler/innen abzuklären, ob sie sich der Risiken bei der Verwendung von Facebook, besonders der unzureichenden Datenschutzbestimmungen, bewusst sind und dass sie ihre Entscheidungen, wie privat eingestellte Daten sein dürfen, reflektiert und verantwortungsbewusst treffen sollten.7

Der Einsatz der Gruppe und das Potenzial solcher Spracharbeit wurde vom italienischen Ausschuss für die Verleihung des „Europäischen Sprachensiegels 2011“ erkannt8 und das Theaterprojekt des Liceo Francesco Petrarca „Nächster Halt: Lebensdorf“ in Zusammenarbeit mit Sigrid Unterstab von Wortspiel-Berlin erhielt im Oktober in Rom diese wichtige Auszeichnung der Europäischen Kommission.

Auch das wurde in der Facebook-Gruppe „UGO“ wieder intensiv virtuell gefeiert. Der Deutschlehrerin und einer Schülerin, die an den Feierlichkeiten zur Preisverleihung an der Ausstellungsgestaltung und Präsentation des Projekts bei der Ausstellung in Rom teilnahmen, wurde aufgetragen, allen über die Facebook-Gruppe von der Veranstaltung zu berichten. Das ganze Projekt zeigt eindrucksvoll, dass eine gute Kombination sprachlicher, künstlerischer, pädagogischer und technischer Mittel die oft beklagte Distanz zwischen Lehrer/innen und Schüler/innen verringern kann.

6. Schlusswort

Obwohl in Italien vielerorts leider eine Konkurrenz zwischen dem Spanisch- und dem Deutschunterricht existiert, bekam die Klasse 2E am Samstag nach der ersten Aufführung freundlicherweise von der Spanischlehrerin eine Stunde zur Verfügung gestellt, um mit der Theaterpädagogin proben zu können. Als Dankeschön bat die Theaterpädagogin die Schüler/innen, das Stück doch auf Spanisch zu spielen. Große Aufregung, klar. Sie hatten 4 Minuten Zeit für die Vorbereitung und um sich klar zu werden, dass es ja ihr Stück ist und dass sie es mühelos auch auf Spanisch schaffen können. Fehlende Worte sollten sie dann einfach auf Deutsch, Englisch, Italienisch, Triestinisch, Chinesisch, Niederländisch, Kroatisch… oder in Phantasiesprache sprechen.

Dazu kam es kaum, denn die Gruppe spielte einen wunderbaren Durchlauf des Stücks auf Spanisch, fast fehlerfrei und selbst mit solchen Transfers, dass aus Bayern München kurzerhand Real Madrid wurde. Sicher werden die Schüler/innen diese spontane Unterrichtsstunde nicht so schnell vergessen, der Spanischlehrerin und der Theaterpädagogin war klar, dass sie in diesem Moment Sprachenlernen der Zukunft erleben – in Triest, mitten in Europa.

Fotolink

http://www.wortspiel-berlin.de/fusion/photogallery.php?album_id=1

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